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Komm "Schöpfer Geist"

Morgenandacht, 10.06.2024

Pfarrer Gotthard Fuchs, Wiesbaden

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Sollte ich ein Schlüsselwort unserer Zeit angeben, würde ich "Klima" sagen. Das liegt wortwörtlich in der Luft. Klar ist sofort: Klima ist nicht nur die Großwetterlage, draußen im Kosmos und daheim im Wetterbericht. Wohl alle spüren irgendwie instinktiv, wo dicke Luft herrscht und wann man die Fenster aufmachen muss. Es gibt Atmosphären des Guten, in denen wir uns wohl fühlen und aufatmen, und es gibt diese hausgemachte Klimaverschmutzung samt Ozon und Verpestung. Dabei denke ich nicht nur an Erderwärmung und Umweltbelastung, nein, fast mehr noch an das soziale Klima, auch an die eigene Innenwelt. Die gute Stimmung kann kippen, manche klagen derzeit über ein gereiztes Klima in Politik und Gesellschaft, auch in der Kirche. Die Angst vor Wohlstandsverlust scheint zuzunehmen, das Angstpotential vor der Zukunft überhaupt, das Leben wird unübersichtlicher, Schwarz-Weiß-Denken nimmt zu, es geht deshalb irgendwie aggressiver zu, immer sind andere schuld, Misstrauen, Ausgrenzung, ja Gewalt beherrschen oft die Szene.

Sollte ich zum Schlüsselwort "Klima" das christliche Pendant wählen, würde ich vom Geist sprechen, vom Heiligen Geist. Zwar liegt das Pfingstfest schon wieder drei Wochen zurück, aber was da gesungen wurde, gilt das ganze Jahr über: "Komm, Heilger Geist, [...] ohne dein lebendig Wehen, kann im Menschen nichts bestehen,/nichts kann heil sein noch gesund."

Angesprochen wird die göttliche Schöpferkraft, die alles zum Guten voranbringt, allem Ungeist zum Trotz. Das deutsche Wort "Geist" ist freilich sehr missverständlich, als ginge es um eine bloß gedankliche Sache. Aber ganz ähnlich wie beim Klima geht es um die ganz handfeste Realität, nämlich um das richtige Leben im falschen, um gute, um frische Luft.

Nirgends finde ich das schöner zusammengefasst wie in diesem Liedvers: "Du bist mein Atem, wenn ich zu dir bete".

Mein Atem, das bin unverwechselbar ich selbst: mein Rhythmus, mein Geruch, mein Körper. Mein Atem, das ist mein Leben. Vom ersten Schrei bei meiner Geburt an bis zum letzten Atemzug demnächst, nichts intimer als das. Das Erstaunliche beim Atmen: Ich mache mir einatmend etwas zu eigen, was nicht ich bin. Und ausatmend gebe ich etwas von mir ab und lasse mich los. Und immer schon ist in der Luft, die wir atmen, der Atem der anderen drin, und meiner dann auch. Und immer ist es höchst intim und sozial zugleich. Kein Zufall, dass alle Religionen diese luftige Realität zum Inbild jenes Geheimnisses machen, das wir Gott nennen.

Je tiefer ich freilich im Ein- und Ausatmen spüre, dass allein ich das bin, desto erstaunlicher wird die Wendung zum Anderen: "Du bist mein Atem".  Indem ich betend mich auf dich, Gott, als mein Du beziehe, werde ich mehr Ich; indem ich betend mich ganz auf dich verlasse und von deiner Gegenwart durchdringen lasse, werde ich erst ich. Und immer ist es der Lebensatem, der gute Geist inniger Verbundenheit und Beziehung. Nichts ist konkreter als dieser Lebendigmacher "Heiliger Geist".

"Im Atemholen sind zweierlei Gnaden. / Die Luft einziehen, sich ihrer entladen;/ jenes bedrängt, dieses erfrischt,/so wunderbar ist das Leben gemischt./ Du , danke Gott, wenn er dich presst, / und danke ihm, wenn er dich wieder entlässt."  Goethe hat Recht mit diesen berühmten Versen, die er dem iranischen Dichter Hafis nachdichtet. Zum guten Klima braucht man das Durch- und Aufatmen, und immer neu die frische Luft.

Komm, Heiliger Geist, "Du bist mein Atem, wenn ich zu dir bete".

Über den Autor Gotthard Fuchs

Pfarrer Dr. Gotthard Fuchs, wurde 1963 in Paderborn zum Priester geweiht und hat seitdem zahlreiche Tätigkeiten in Seelsorge und theologischer Lehre, in Beratung- und Bildungsarbeit geleistet. Von 1983 bis1997 war Fuchs Direktor der Katholischen Akademie der Diözesen Fulda, Limburg und Mainz; zuletzt war er Ordinariatsrat für Kultur-Kirche-Wissenschaft. Seine Schwerpunkte liegen auf der Geschichte und Gegenwart christlicher Mystik im Religionsgespräch, auf dem Verhältnis von Theologie und Psychologie und von Seelsorge und Therapie. Zu diesen Themen hat er zahlreiche Veröffentlichungen publiziert.

Kontakt: gotthardfuchs@t-online.de