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Vergebung

Morgenandacht, 10.06.2025

Pfarrer Christian Olding, Geldern

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Niemand kommt unverletzt durch dieses Leben. Ob absichtsvoll oder aus Versehen, immer wieder kränken wir andere und werden selbst gekränkt. Ruhelos kreisen unsere Gedanken um das Geschehene und innerlich schreien wir empört auf: "Wie konntest du mir das nur antun?"

Die tiefsten Wunden unseres Lebens sind Beziehungswunden. Verletzte Gefühle und die Erinnerungen an das Geschehene drohen sich wie ein dunkler Schatten im Hier und Jetzt auszubreiten. Das ganze Durcheinander an Emotionen lässt unseren Alltag stolpern und uns einfach nicht los. Dann ist es die Vergangenheit, die die Lebensqualität in der Gegenwart bestimmt. Ich bin nicht mehr frei, ein selbstbestimmtes Leben in die Hand zu nehmen. Die Frage lautet: Wie können wir aussteigen aus diesem Kreislauf?

Die christliche Antwort darauf ist eine simple und sie heißt: Vergebung.

In einer tiefen Verletzung mag der Gedanke, dass Rache süß ist, ziemlich verlockend sein. Das Problem ist nur, sie hat einen ziemlich bitteren Nachgeschmack; denn auch wenn ich den anderen zielsicher verletze, heißt das noch lange nicht, dass dadurch meine eigene Verletzung geheilt wird. Außerdem führt Rache meistens dazu, dass die Stimmung im gesamten Beziehungsumfeld vermiest wird.

Jemandem zu vergeben, bedeutet vor allen Dingen und zuerst einmal, ihn loszulassen. Solange ich nicht vergebungsbereit bin, will ich immer noch etwas vom anderen. Ich trage ihm ständig etwas nach und belaste damit nur mich selbst. Vor allen Dingen verbrauche ich meine Kapazitäten, indem ich gedanklich ständig in Auseinandersetzung mit ihm bin. Ich kreise ständig darum, wie ich vielleicht die Situation hätte anders regeln können oder wie ich im Nachhinein noch zu meinem Recht komme.

Ich verbrauche meine emotionalen Ressourcen, indem meine ganzen Gefühle immer noch in die Situation involviert sind, die nicht mehr zu ändern ist. Das Problem daran: Ich beschwere nur mich selbst, während der andere vielleicht schon wieder fröhlich, unbeschwert und leicht seiner Wege geht und an das, was er mir angetan hat, schon gar nicht mehr denkt.

Auch die Forschung hat gezeigt, dass es zu körperlichen Beeinträchtigungen führt, wenn man es nicht schafft, zu vergeben. Schlafmangel, Bluthochdruck und Magenbeschwerden sind nur einige davon. Durch mangelnde Vergebungsbereitschaft schade ich vor allen Dingen und zuerst einmal nur mir selbst.

Die Entscheidung zur Vergebung aber bedeutet nicht, dass ich den anderen aus seiner Verantwortung für das Vorgefallene entlasse. Die Entscheidung zur Vergebung bedeutet, dass ich Verantwortung für mich übernehme und mich entscheide, aus der Opferrolle auszusteigen.

Vergebung ist zuallererst meine Aufgabe. Es geht um mein Verhältnis zum Geschehenen und um mein Verhältnis zur Person, die mir das Ganze angetan hat. Vergebung geschieht unabhängig vom Gegenüber.

Die Bibel unterscheidet daher Vergebung und Versöhnung. Vergebung bedeutet, jemanden seine Schuld nicht mehr nachzutragen. Bei der Versöhnung dagegen geht es um die Wiederherstellung meiner Beziehung zum anderen. Die setzt voraus, dass der andere in der Tat Verantwortung für sein Tun übernimmt, sich seine Schuld eingesteht und selbst ein Interesse daran hat, dass unser Miteinander wieder auf neue und gesunde Füße gestellt wird.

Wenn also die Bibel mich dazu auffordert, stets vergebungsbereit zu sein, dann hat sie damit vor allem mein Wohl im Blick, damit ich endlich wieder unbeschwert und unabhängig vom Anderen meiner eigenen, freien und selbstbestimmten Wege gehen kann.

Über den Autor Pfarrer Christian Olding

Pfarrer Christian Olding, geboren 1983, wuchs in Niedersachsen auf. 2011 empfing er die Priesterweihe und ist derzeit in der Pfarrei St. Maria Magdalena am Niederrhein tätig. Mit seinem Projekt v_the experience arbeitet er daran, den Glauben in seiner ganzen Alltagsrelevanz zu vermitteln.

Kontakt: christian.olding@gmail.com
Internet: www.youtube.com/c/vtheexperience