"Hinz&Kunzt" ist ein Hamburger Straßenmagazin. In seiner aktuellen Ausgabe fordert das Magazin: "Abseits abschaffen!" Hinz und Kunzt lenkt den Blick dabei nicht auf die Fußballer und ihre Spielregeln. In den Blick genommen werden vielmehr Menschen, die im Hamburger Stadtbild im Abseits stehen oder ins Abseits gedrängt werden. Obdachlose.
Mehr als 600.000 Menschen sind in Deutschland wohnungslos. Wer seine Wohnung aus welchen Gründen auch immer verloren hat und keine neue findet, auch weil es zu wenig bezahlbaren Wohnraum gibt, hat gewiss Anspruch auf staatliche Unterstützung. Doch das System ist kompliziert. Es überfordert viele, so dass sie in eine Spirale der Verarmung und Verschuldung geraten. Viele machen die Erfahrung: Wir kriegen keinen Fuß mehr in die Tür. Im wahrsten Sinne des Wortes. Wir finden keine Wohnung. Und auch in anderen Bereichen der gesellschaftlichen Teilhabe bleibt vieles verschlossen – auch auf dem Arbeitsmarkt oder im kulturellen Leben. Viele Obdachlose leben ganz bewusst unbemerkt, damit ihre prekäre Lage nicht so offensichtlich ist.
So ist die in den Innenstädten sichtbare Obdachlosigkeit nur die Spitze des Eisberges, sagen die Caritas-Mitarbeiter der mobilen Wohnungshilfe, die in vielen Städten den Obdachlosen zur Seite stehen. Doch nun ist EM und die Obdachlosen vom Hamburger Bahnhof machen die Erfahrung, dass sie für ein aufgeräumtes Stadtbild verdrängt werden. "Die Welt zu Gast bei Freunden" – aber die Welt soll nicht sehen, dass wir als reiches Land ein Wohnproblem haben.
Anni aber will sichtbar bleiben. Für die Kampagne von Hinz&Kunzt hält sie ein großes Pappschild in die Kamera. Darauf hat sie die Frage geschrieben: "Wo ist mein Platz?" Mein Platz zum Wohnen, mein Platz zum Leben, mein Platz anderen zu begegnen. Wo ist mein Platz, an dem ich Arbeit finde, wo ist mein Platz, an dem ich ausruhen kann? Wo ist mein Platz am Tisch? Wo ist mein Platz auf dem Spielfeld?
Keiner möchte freiwillig im Abseits stehen. Wie gut tut es, zu wissen, wo ich hingehöre, Wie gut ist ein Platz, wo ich gebraucht werde, wo ich in Sicherheit leben kann. Dass wir als Gesellschaft dafür sorgen, dass Menschen nicht ins Abseits geraten, ist ein Gradmesser, wie es um Solidarität und Mitmenschlichkeit bestellt ist. Mir aber ist genauso wichtig, an einen Gott glauben zu dürfen, der mich unabhängig von meiner Lebenssituation nicht ins Abseits stellt oder als unwichtige Randfigur betrachtet. Jesus sagt: "Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt, ich werde euch Ruhe verschaffen." (Mt 11,28)
Ich verstehe das als Einladung, dass meine Lebenslast Gott nicht egal ist, dass ich ihm nicht zur Last falle, sondern im Gegenteil er sich in Jesus Christus all meine Lasten aufbürden lässt. Seit über 20 Jahren feiere ich als Priester Gottesdienst in einer ostdeutschen Region, in der der katholische Glaube gesellschaftlich gesehen eher im Abseits und am Rande steht. Aber ich erlebe im Gottesdienst immer Menschen, die Jesu Einladung, "Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt", annehmen. Gerade werktags. Da feiere ich zumeist mit älteren Menschen, denen es Mühe macht zu kommen, die aber dennoch gerne da sind. Menschen, die allein sind und mit dem Gottesdienst einen Punkt von Gemeinschaft erleben, Menschen, die kein leichtes Los tragen und einfach mal ausruhen oder in den Liedern und Gebeten Trost und Halt suchen.
Ich feiere Gottesdienst mit Menschen, die – wie ich – glauben, dass Gott die Abseitsfalle aufhebt.