"Dem steht das Wasser bis zum Hals." Das sagt man über Menschen, die in Not geraten sind. Soll heißen: Mehr darf nicht kommen – oder er ertrinkt.
Morgen feiert die Kirche das Fest der Taufe Jesu. Es ist das dritte von drei Offenbarungsfesten, die zur Weihnachtszeit gehören: Zuerst das Geburtsfest Jesu am 25. Dezember. Als zweites das Dreikönigsfest am 6. Januar, die sogenannte Epiphanie, bei der drei Weise aus dem Morgenland nach Bethlehem kommen und dem Kind im Stall die Ehre geben. Und als drittes schließlich die Taufe des erwachsenen Jesus im Fluss Jordan, die am Anfang seines öffentlichen Wirkens steht.
Auf vielen Ikonen, die die Taufe Jesu darstellen, steht ihm das Wasser buchstäblich bis zum Hals. Er steht mitten im Jordan, der wie ein bodenloser dunkler Abgrund wirkt. Über ihn beugt sich von einer Seite ein Mann, der ihm Wasser über sein Haupt gießt, das gerade noch aus dem Wasser ragt.
Wie war es dazu gekommen? Bevor das öffentliche Wirken Jesu beginnt, tritt ein Mann namens Johannes auf, der am Jordan unterhalb von Jerusalem am Rand der Wüste predigt. Seine Botschaft: Gott ist nahe. Er offenbart sich in Menschengestalt. Es ist Zeit, sich auf die Begegnung mit ihm vorzubereiten, das Leben daraufhin neu auszurichten und sich von allem zu trennen, was dieser Begegnung hinderlich sein könnte.
Die Botschaft verbreitet sich wie ein Lauffeuer. Die Menschen kommen scharenweise, um Johannes zu hören und sich zum Zeichen ihrer Umkehr und Buße im Jordan taufen zu lassen. Doch dann geschieht etwas Unerwartetes. Unter den zerknirschten und bußfertigen Pilgern erkennt Johannes Jesus selbst. Er ist irritiert: Der, auf den die Menschen sich vorbereiten sollen, reiht sich selbst unter die Vorbereitenden. Johannes zögert. Doch Jesus besteht darauf und lässt sich von Johannes taufen. Aber Jesus lässt sich nicht taufen, weil er die Umkehrtaufe des Johannes nötig hätte. Er lässt sich taufen, um bei denen zu sein, die sie nötig haben.
Das Geschehen der Taufe Jesu ist gewissermaßen eine Zusammenfassung seines ganzen Lebens: Er geht den Weg der erschöpften Menschheit mit – bis ganz nach unten. Es ist kein Zufall, dass der Ort der Taufe Jesu heute nahe der der Jordan-Mündung am Toten Meer verehrt wird. Der liegt 428 Meter unter dem Meeresspiegel und ist der tiefste erreichbare Punkt der Erdoberfläche.
Hier geschieht die Offenbarung, wer und wie Gott ist und wie Gott sich den Menschen denkt: Während Jesus getauft wird, so heißt es in der Bibel, "öffnete sich der Himmel und der Heilige Geist kam sichtbar in Gestalt einer Taube auf ihn herab und eine Stimme aus dem Himmel sprach: 'Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen gefunden.'" (vgl. Markus 1,11)
Ausgerechnet hier, am tiefsten Punkt der Welt, hören und sehen die, denen das Wasser bis zum Hals steht, dass Jesus der ist, der von Gott gesandt ist und in seiner Person Gott authentisch offenbart. Bis zu Johannes war die Taufe ein Zeichen der Vorbereitung, der Umkehr und der Reinigung. Nach der Taufe Jesu bekommt die Taufe eine neue Bedeutung: Sie wird für die Christen zum Zeichen der Gemeinschaft mit Jesus und der Teilnahme an seinem Leben.
Mit dem Fest "Taufe des Herrn" geht morgen die Weihnachtszeit zu Ende. Im Gottesdienst versetzt sich die Kirche an die tiefste Stelle der Welt. Sie hört und feiert, wie Gott in Jesus bis ganz nach unten geht, wo den Menschen das Wasser bis zum Hals steht. Gott geht mit den Menschen, damit die Menschen mit Gott gehen – durch das Wasser hindurch in ein Leben, in dem sie erkennen, dass sie unsterblich geliebte Kinder Gottes sind.