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Geheimnis des Lebens

Morgenandacht, 11.06.2024

Pfarrer Gotthard Fuchs, Wiesbaden

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Heimat ist ein umstrittenes Wort, den einen lieb und teuer, bitter vermisst oder täglich spürbar, andere können damit nichts anfangen. Immerhin steckt darin das Wörtchen "heim" – und damit ist eine elementare Frage verbunden: Wo bin ich daheim? Wo gehöre ich hin? Wo bin ich am richtigen Ort und in meinem Element? In diesen Zeiten, wo es wieder so viel Heimatvertriebene, Flüchtlinge und Migranten gibt, eine brennende Frage, unterwegs und auch in den eigenen vier Wänden.

Die deutsche Sprache gibt dafür einen kostbaren Wink: Daheim sind wir im Geheimnis des Lebens. Rätsel kann man lösen und man muss es, Probleme müssen wie Nüsse geknackt werden. Geheimnisse dagegen werden gelebt, sie werden gefeiert und wörtlich begangen: wirklich Lebensgeheimnisse wie die Freundschaft oder die Liebe oder sonst etwas Schönes und Gutes. "Nicht zu fassen", sagen wir dann überrascht und beschenkt. In diesem Sinne spricht ein Gebet staunend vom "Geheimnis, dass ich bin". Unauslotbar ist ja in der Tat das Faktum, dass ich bin. Ich kann mich nicht mehr los werden, selbst wenn ich es wollte.  Ich muss mich zu mir selbst und zu meinem Dasein verhalten, so oder so.

Dieses kurze Gebet, das mir sehr lieb ist, bringt das wunderbar auf den Punkt, da heißt es: "Immerfort empfange ich mich aus Deiner Hand. Das ist meine Wahrheit und meine Freude. / Immerfort blickt Dein Auge mich an, und ich lebe aus Deinem Blick, Du mein Schöpfer und mein Heil."

Und dann kommen die goldenen Worte: "Lehre mich, in der Stille Deiner Gegenwart das Geheimnis zu verstehen, dass ich bin – und dass ich bin durch Dich und vor Dir und für Dich."

Der gelehrte Romano Guardini spricht hier in schlichten Worten aus, worauf alles ankommt: "Verstehen, dass ich bin" – und das von Gottes Gnaden. Lange habe ich ein bisschen gehadert: Dass Gott mich immer anschaut, fand ich übergriffig und auch unangenehm. Da war immer so ein Beigeschmack von väterlicher oder mütterlicher Kontrolle, das Auge des großen Bruders, der alles scharf beäugt. Aber seit einiger Zeit finde ich auch dieses Bild schön, und es wird mir warm ums Herz. Dass da jemand ist, der mich wohlwollend im Auge hat, ist mir ein kostbarer Gedanke. Das hat für mich mit Interesse zu tun, mit Achtsamkeit, nein mit großer Liebe. Da schaut mich jemand liebevoll an – wie wirkliche Freunde und Freundinnen. Und das sind ja Menschen, die mich mögen, obwohl sie mich kennen. Da muss ich mich nicht verstecken und besser tun, als ich bin.

Ja, wir Menschen sind dort daheim, wo wir angesehen werden. Das fängt beim ersten Blick zwischen Mutter und Baby an, und es bleibt lebenslang so. Wir werden ansehnlich und finden Ansehen, wo wir uns wohlwollend angesehen spüren. So kommen wir nach Hause. "Das Geheimnis, nicht nur, dass ich bin, sondern dass ich gewollt und bejaht bin." Ja, wunderbar, wo das geschieht.  Aber wie oft zweifelt man an sich selbst und findet sich schlecht. Und manche haben schon bei der Geburt einen schlechten Start, weil sie sich nicht erwünscht finden. Guardinis Gebet ist ganz realistisch, denn es spricht Gott an. Auf Menschen ist ja nicht immer Verlass, aber auf dieses Geheimnis, das wir Gott nennen!

Guardini spricht voll tiefstem Vertrauen, glaubend ist er sich der unbedingte Liebe Gottes gewiss, durch nichts zu erschüttern: "Du mein Schöpfer und mein Herr". Jeder Tag wird da zur Einladung, sich neu zu empfangen und das eigene Dasein zu schätzen. Daheim ist der Mensch, wenn er sich als Gottesgeschenk erfährt, als Geschenk und Geschöpf. Mit unglaublicher Wertschätzung und im Blick eines unerschöpflichen Wohlwollens. "Mein Schöpfer und mein Herr" – was der mir zutraut.

Über den Autor Gotthard Fuchs

Pfarrer Dr. Gotthard Fuchs, wurde 1963 in Paderborn zum Priester geweiht und hat seitdem zahlreiche Tätigkeiten in Seelsorge und theologischer Lehre, in Beratung- und Bildungsarbeit geleistet. Von 1983 bis1997 war Fuchs Direktor der Katholischen Akademie der Diözesen Fulda, Limburg und Mainz; zuletzt war er Ordinariatsrat für Kultur-Kirche-Wissenschaft. Seine Schwerpunkte liegen auf der Geschichte und Gegenwart christlicher Mystik im Religionsgespräch, auf dem Verhältnis von Theologie und Psychologie und von Seelsorge und Therapie. Zu diesen Themen hat er zahlreiche Veröffentlichungen publiziert.

Kontakt: gotthardfuchs@t-online.de