Auch wenn dieser Tage viele durch Europa touren und Ferien machen: Es bleibt in den politischen Auseinandersetzungen der letzten Jahre und in den Herausforderungen, vor denen Europa steht, der Eindruck: Das Gemeinsame und Verbindende ist am Verdunsten. Die gemeinsame europäische Geschichte gerät über die nationalen Erzählungen in Vergessenheit. Zugleich zeichnet sich kein gemeinsames Projekt, keine verbindende Idee für ein Europa der nächsten Jahrzehnte ab. Doch dieser Eindruck ist nicht neu.
Vor 60 Jahren, im Jahr 1964, ernannte Papst Paul VI. den Heiligen Benedikt zum Patron Europas. Heute ist sein Gedenktag. Benedikt lebte im 6. Jahrhundert, er gründete den Benediktinerorden und verfasste die Klosterregel nach der bis heute die meisten Mönche und Nonnen leben. In dem der Papst ihn vor 60 Jahren zum Patron Europas ernannte, wollte er auf die Bedeutung hinweisen, die das christliche Mönchtum bei der Entwicklung Europas gespielt hat. Knapp 20 Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkrieges und inmitten des Kalten Krieges wollte der Papst damit den Blick auf die christlichen Wurzeln Europas lenken. Diese Wurzeln sind nämlich in der Benediktsregel erkennbar. Sie hat nicht nur das Zusammenleben im Kloster geprägt. Die "Regula Benedicti" wurde immer als Leitfaden geschätzt, weil sie den Wert jedes Einzelnen als Individuum betont und dabei gleichzeitig Regeln für das gelingende Leben in Gemeinschaft aufstellt.
Dabei spielt vor allem der Gedanke der Mäßigung eine entscheidende Rolle. Maßhalten können ob nun beim Essen, beim Reden, beim Fasten oder beim Urteil über den Anderen. So vermeidet man Extreme in der Askese wie auch in der körperlichen Arbeit. So vermeidet man aber auch extreme Ansichten oder extrem harte Urteile. Im Grunde wird das Maßhalten zur Tugend der Weite und Barmherzigkeit sich selbst gegenüber, aber auch gegenüber den Umständen und gegenüber dem Mitmenschen. In dieser Weite werden Gemeinschaften stabil und zugleich flexibel angesichts neuer Herausforderungen. Die Klosterregel des Heiligen Benedikt für heute als Maßstab wieder in Erinnerung zu rufen, mag ungewöhnlich sein. Aber die Idee, dass sie Gemeinschaften, die auseinander zu driften drohen, wichtige Ratschläge geben kann, ist nicht neu.
Benedikts Regel steht unter dem Motiv "Ora et labora" – "Bete und arbeite". Sie betont das Gleichgewicht zwischen Gebet und Arbeit. Muße zum Nachdenken und Betrachten gehören genauso zu einem ausgeglichenen Leben wie Aktivität und Aufgaben, die uns gestellt sind und bewältigt werden müssen. Dieses Motto galt natürlich in erster Linie für das Ordensleben, doch das wurde verstanden als Suche nach Weisheit. Hilfreich ist dabei für Benedikt Struktur.
Es erscheint heute in Zeiten gesteigerter Mobilität und mannigfacher technischer Möglichkeiten schwieriger, in den Tag klare Strukturen und Regelmäßigkeiten zu integrieren. Auf der anderen Seite weiß auch der, der Sport treibt oder ein Instrument spielt, wie gut Routinen und Abläufe sind, die einem in Fleisch und Blut übergegangen sind und Halt geben. Ora et labora. Bete und Arbeite. Wie Benedikt sich und sein Leben verstand wird seinem Gebet erkennbar:
"Verleih mir, gütiger Gott, in Deiner Huld:
einen Verstand, der Dich versteht,
einen Sinn, der Dich wahrnimmt,
einen Eifer, der Dich sucht,
ein Herz, das Dich liebt,
ein Tun, das Dich verherrlicht,
eine Geduld, die auf Dich harrt.
Gib mir einen guten Tod
und eine glückliche Auferstehung im Ewigen Leben."