Friedrich Nietzsche spricht in den Reden des Zarathustra mit Grausen vom "letzten Menschen". Dieser wird so alltäglich sein und so banal, er hat "sein Lüstchen für den Tag und sein Lüstchen für die Nacht: Aber man ehrt die Gesundheit." Er arbeitet noch, aber die Unterhaltung ist wichtiger. "Ein wenig Gift ab und zu: das macht angenehme Träume. Und viel Gift zuletzt, zu einem angenehmen Sterben."
Vieles klingt so überraschend aktuell. Über allem steht das Fazit: "Die Erde ist dann klein geworden, und auf ihr hüpft der letzte Mensch, der alles klein macht… Wir haben das Glück erfunden – sagen die letzten Menschen und blinzeln." Es wird ein kleines Glück sein, erwartungsmüde und in kleiner Dosis.
Was dabei verloren geht? Nietzsche sagt: "Wehe! Es kommt die Zeit, wo der Mensch nicht mehr den Pfeil seiner Sehnsucht über den Menschen hinauswirft und die Sehne seines Bogens verlernt hat zu schwirren! Ich sage euch: man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können."
Ein leidenschaftliches Plädoyer des Philosophen für einen Menschen, der sich mit dem Alltäglichen und Gewöhnlichen nicht abspeisen lässt, dessen Hoffnung und Spannkraft einen weiten Horizont verlangt, um nicht vorschnell in eine Miniaturausgabe des Lebens abzustürzen. Fast könnte man sagen: Ja, es muss im Leben mehr als alles geben.
Nietzsche stellt der drohenden menschlichen Verkümmerung den Übermenschen entgegen, der nach der Abschaffung Gottes und des Himmels mit heroischer Anstrengung ein neues Zeitalter heraufführt. Mag auch dieser Mensch, mit Nietzsche gesprochen, einen tanzenden Stern gebären, so wird es doch ein Stern sein ohne Himmel, ein Lebensentwurf, der eingezäunt ist vom begrenzten Horizont dieser Erde.
Erinnern Sie sich noch an den Film "Die Truman Show"? Wie in diesem Film der Protagonist Truman seit seiner Geburt in einer gigantischen Realityshow im Fernsehen lebt, nicht ahnend, dass seine Welt nur eine Kulissenwelt für eine permanente Fernsehshow ist? Erst allmählich beginnt er zu begreifen, dass es noch eine andere Welt jenseits der Kulissen gibt, und Stück für Stück arbeitet Truman an seiner Flucht aus dieser kleinen, banalen und künstlichen Welt. Der Film schließt mit einer packenden Schlussszene. Truman treibt in einem kleinen Boot auf dem künstlich aufgepeitschten Binnensee, stößt schließlich gegen die Kulissenwand, die einen Horizont vortäuscht, entdeckt eine schmale Treppe, die zu einer Tür führt. Er öffnet die Tür, verbeugt sich vor dem Fernsehpublikum und verschwindet durch die offene Tür, hinein in eine andere Welt, die ihm bis dahin verborgen war.
Hinein oder besser hinauf in eine andere Welt: Weder der letzte Mensch in seiner Banalität noch der Übermensch werden diese Welt mit ihrem begrenzten Horizont trotz aller Sehnsucht überwinden.
Und mit dieser heilsamen Ent-täuschung schaue ich auf das besondere kirchliche Fest in der kommenden Woche: die Himmelfahrt Mariens. Zum zweiten Mal in diesem Jahr eine Himmelfahrt, nach Christi Himmelfahrt diesmal die Erhöhung des Menschen, einer Frau. Man verrät die Erde, wenn man nicht an den Himmel glaubt. Zur Wahrheit dieser Erde gehört ihre Durchlässigkeit, ihre Unabgeschlossenheit. Nur so hält man der Erde die Treue, die Nietzsche immer wieder beschwört. Denn diese Erde hält eine Tür, einen Durchgang offen zur himmlischen Welt Gottes. Man muss, um Nietzsches Wort abzuwandeln, himmelfahrtssüchtig sein, um einen tanzenden Stern gebären zu können, den neuen Menschen in der Welt Gottes, die sich bleibend mit dieser Erde verbunden hat.
Weltverliebt und gottverliebt: Das ist der Mensch, den ich Nietzsche entgegenhalten möchte.