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Wenn der Alltag durchkreuzt wird …

Morgenandacht, 12.01.2024

Thomas Macherauch, Bruchsal

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Wenn ich heute in den Tag starte, erwarte ich keine großen Überraschungen. Vermutlich geht vieles seinen gewohnten Gang. Bei Beate ist das anders: Sie ist Notfallseelsorgerin. Bei ihr wird heute irgendwann das Telefon klingeln, weil etwas passiert ist: Menschen stehen unter Schock und sie soll ihnen beistehen. Oder jemand stirbt und die Angehörigen müssen informiert werden. Beate begleitet Menschen in den dunkelsten Momenten ihres Lebens – ehrenamtlich und mit großer Leidenschaft.

Das kann nicht jeder. Beate hat mir erzählt, warum sie das macht und wie sie es schafft, mit all der Not klar zu kommen. Beate ist religiös. Für sie sind alle Menschen wichtig und wertvoll; Ebenbilder Gottes. Ich glaube, das ist der Grund, warum sie – sofern es ihr möglich ist – alles liegen und stehen lässt, um für sie da zu sein, ihnen beizustehen und im besten Fall zu helfen. Mich beeindruckt, wie konsequent sie das macht. Ich habe meinen Tag meist richtig eng getaktet und Pläne, was wie zu laufen hat. In diesem Korsett bin ich gefangen. Wenn dann etwas passiert, das ich nicht erwartet habe, tue ich mich oft schwer damit: Wenn jemand anruft zum Beispiel, mich lange in Beschlag nimmt und ich dabei den Berg an Arbeit sehe, der vor mir liegt. Ich werde dann schnell ungeduldig, weil ich weiß, was noch alles zu tun ist.

Für Beate ist das anders. Sie ist ganz im Moment. Papierkram am Schreibtisch kann warten und das Bad kann man ja auch später noch putzen. Ganz wie der Prediger im Alten Testament der Bibel sagt: Alles hat seine Zeit (vgl. Koh 3,1-11) und man soll im Moment leben. Auch Jesus hat das getan: In der Bibel lese ich nichts davon, dass er Leute vertröstet, weil er noch einkaufen muss, kochen oder ein paar Dinge erledigen. Für ihn sind die Menschen das wichtigste und er ist für sie da, wenn sie ihn brauchen. Immer. Das finde ich bemerkenswert.

Und was sagt man nun jemandem, für den gerade eine Welt zusammenbricht, der eine Krise erlebt oder jemanden verliert? Beate sagt: Nichts. Es sei wichtiger, erst einmal nur da zu sein, mit dem anderen zu schweigen oder ihm zuzuhören, ihm zur Seite zu stehen und die Situation auszuhalten. Dennoch hat sie einen ganzen Koffer mit Dingen dabei: klares Wasser für klare Gedanken, Lavendelöl, um zu beruhigen, Anti-Stressbälle und auch ein Gebetsbüchlein. Nicht jede ist gläubig und jedem hilft etwas anderes. Beate meint: Es ist wichtig darauf zu achten, was die Seele des anderen braucht.

Jesus ist einmal von einem Blinden gerufen worden. Es ist offensichtlich, dass er wohl gerne sein Augenlicht zurückerhalten wollte. Jesus fragt ihn trotzdem: "Was willst du, dass ich dir tue?" (Mk10,51) So nachzuhaken ist wichtig. Denn wenn ich anderen wirklich helfen will, darf ich ihnen nicht überstülpen, was ich denke, das gut für sie wäre. Ich muss auf sie eingehen und sie müssen für sich klarbekommen, was ihnen guttut und was sie brauchen. Gute Gesprächspartner wissen das und versuchen, mit ihrem Gegenüber zusammen herauszufinden, was das ist.

Beate hat für sich ein Ritual entwickelt, wie sie all die Schicksale, die ihren Alltag durchkreuzen, verarbeiten kann. Vor jedem Einsatz zündet sie eine Kerze an. Sie vertraut die Situation, die Menschen und sich selbst Gott an. So ist sie sich sicher, dass Gott in jedem Gespräch dabei ist. Sie hadert nicht mit ihm und fragt nicht, warum er Leid zulässt. Sie vertraut vielmehr darauf, dass er ihr und den anderen alles gibt, um es zu bewältigen. Wenn die Kerze dann erlischt, lässt sie los. Sie vertraut darauf, was im Psalm steht: "Woher kommt mir Hilfe? Meine Hilfe kommt vom Herrn" (Ps 121,1-2). Für sie funktioniert das.

Vermutlich geht mein Tag heute seinen gewohnten Gang. Aber ich werde immer wieder mal an Beate denken; spätestens wenn jemand meine Routinen durchkreuzt. Es fällt mir manchmal schwer, jemandem Zeit zu schenken und zuzuhören; aber es ist unheimlich wertvoll. Und es tut gut zu wissen, dass ich am Ende auch wieder weitermachen und abgeben darf: in die Hand eines anderen.

Über den Autor Thomas Macherauch

Als gebürtiger Karlsruher, geboren 1977, ist Thomas Macherauch nach seinem Studium der Katholischen Theologie in Freiburg Pastoralreferent in der Erzdiözese Freiburg geworden. Nach seiner journalistischen Medienausbildung am ifp München betreute er die Öffentlichkeitsarbeit seines Dekanats und war Pastoralreferent in der katholischen Seelsorgeeinheit Mühlhausen. Seit Februar 2015 ist Thomas Macherauch Dekanatsreferent im Katholischen Dekanat Bruchsal.

Kontakt: referent@kath-dekanat-bruchsal.de

Information: www.kath-dekanat-bruchsal.de