Auf den ersten Blick sieht alles ganz normal aus: Ein paar Kinderwippen stehen da, auf den einzelnen Wippen sitzen Kinder auf jeder Seite, sie wippen zusammen und haben Spaß. Eine Szene, wie man sie auf vielen Kinderspielplätzen in aller Welt beobachten kann. Aber das Besondere: Die Wippen stehen hier mitten auf einer Grenze und sind durch die Grenzbefestigung hindurch aufgestellt, so dass es Kinder von beiden Seiten der Grenze sind, die hier miteinander spielen.
Es handelt sich um die Grenze zwischen Mexiko und den USA, die mit einem Grenzzaun gesichert ist. Wobei: Das Wort Zaun trifft es nicht ganz. Ein Bollwerk aus Stahl ist das, haushoch und massiv. Es trennt die Städte Ciudad Juárez in Mexiko und El Paso in Texas voneinander. Dieser Grenzzaun soll die illegale Einwanderung aus Mexiko in die USA erschweren oder verhindern. Trotz des Zaunes gab es allein im letzten Jahr zwei Millionen illegale Grenzübertritte, die in Festnahmen endeten, die meisten davon in diesem Grenzabschnitt. Aber hier und jetzt werden die Menschen nicht separiert und ausgegrenzt, sondern die Wippen sorgen dafür, dass Menschen zusammenkommen.
Diese Installation haben zwei Architekturprofessoren entwickelt. Natürlich konnten sie an der Staatsgrenze keine Genehmigung erhalten und bauten alles klammheimlich auf. Sofort kamen Kinder und Erwachsene auf beiden Seiten angelaufen und nahmen die Spielgeräte in Besitz. Schon nach 20 Minuten griff die Grenzpolizei ein und beendete das internationale Wippen. Geblieben sind jede Menge Videos in den sozialen Netzwerken. Sie zeigen den kurzen Moment, wo eine Grenze zu einem Spielplatz, wo eine trennende Mauer zu einem Begegnungsort wurde und die Grenzen in den Köpfen kleiner wurden.
Staatsgrenzen spielen in meinem Alltag keine große Rolle mehr, sie sind unbedeutender geworden, jedenfalls in Westeuropa. Es gibt andere Grenzen, die mehr Bedeutung für meinen Alltag haben: Sprachbarrieren, Einschränkungen, Regeln, Echokammern, Komfortzonen. Manche Grenzen sind gut und hilfreich, sie geben mir Sicherheit und Halt. Andere schränken mich ein oder trennen mich. Von anderen Menschen, anderen Denkweisen, anderen Kulturen. Solche Grenzen möchte ich gerne überschreiten oder überwinden – oder wenigstens für eine kurze Zeit Menschen jenseits der Grenzen begegnen, so wie bei den Wippen.
"Mit meinem Gott überspringe ich Mauern," so heißt es in einem Psalm in der Bibel. Das klingt so leichtfüßig, so schwerelos einfach. So spielerisch wie die Wippen. Und vielleicht kann genau das Spielerische eine Hilfe sein, wie es gelingt, aus der eigenen Komfortzone zu kommen. Nicht zu ernst anfangen sondern es wie ein Spiel angehen. Einfach mal das ausprobieren, was ich sonst nicht tue.
Vielleicht esse ich mal etwas, was ich noch niemals gegessen habe. Oder ich versuche mal ein echtes Gespräch mit jemandem, der eine völlig andere politische Einstellung hat als ich. Oder ich wage mal etwas, das in meinem Umfeld nicht üblich ist. Wenn das gelingt, dann lerne ich dazu, dann erweitere ich jedesmal meine Grenzen. Mag sein, dass nicht immer alles erfolgreich läuft. Aber dann und wann werde ich spüren: Ich kann Grenzen überwinden und Mauern überspringen!
Der Psalm nennt dabei eine Hilfe. Es heißt: Mit meinem Gott überspringe ich Mauern. Neben dem Vertrauen in meine eigenen Kräfte ist zum Grenzen überwinden auch ein anderer nötig. Ein Gegenüber. Wippen kann man nicht allein, auf jeder Seite der Wippe muss jemand sitzen. Es braucht Vertrauen in diesen anderen, dass er Gutes für mich im Sinn hat. Im Glauben ist Gott dieses Gegenüber. Manchmal ist mir nicht mal im Rückblick deutlich, was genau mich aus der Komfortzone gebracht hat: Meine Spielfreude – oder Gottes Kraft. Vielleicht beides zusammen.