Theologen gleichen Schatzsuchern oder Wünschelrutengängern. Also durchstreife ich das bisherige Christentum nach Goldadern oder Edelsteinen, und dabei stoße ich erstaunlicherweise immer wieder auf ein besonderes Schmuckstück, und das in verschiedensten Farben, Formen und Formationen, fremd und faszinierend zugleich. Es ist das Wort "Demut" – und die gemeinte Haltung damit: Geerdet-Sein. Schon in der Bibel, zuvor bei manchen Philosophen, und dann vor allem seit den Mönchs- und Kirchenvätern gilt Demut als Inbegriff des wahren Lebens, als Basistugend für alles Gelingen, ja als goldener Schlüssel zum Glück.
"Humilitas" heißt es plastisch im Lateinischen: also erdverbunden und mit Bodenhaftung, humus und humor hängen ja nicht nur sprachlich zusammen. Ob ein Mensch im Lot ist und also spirituell gut unterwegs, zeigt sich demnach an seiner Bodenhaftung, an seinem Steh- und Standvermögen, also auf dem Boden der Tatsachen. Handfest hat es die wunderbare Teresa von Avila auf den Punkt gebracht: Demut heißt für sie "in der eigenen Wahrheit leben." (6.Wohnung 10,7)
Also grade nicht frommen Idealen nachjagen und sich mit großen Heiligen vergleichen, nein: überhaupt nicht vergleichen. Und vor allem nicht "werten", was ja meistens "abwerten" heißt, andere und sich selbst. Nein, sich und andere, vor allem sich illusionslos ansehen und annehmen lernen, nicht schwarz sehen und nicht schön färben. Das braucht Mut und Ermutigung, und – ein Lieblingswort von Teresa – "entschlossene Entschlossenheit". Also keine Flausen im Kopf , auch keine spirituellen, fromme Höhenflüge sind seltene Zugaben, aber nicht der Normalfall. Nein, Dienstmut ist gemeint, besser übersetzt könnten wir "Tiefmut" sagen, also auf den Teppich kommen, auf den Boden der Tatsachen.
"Gott umarmt uns mit der Wirklichkeit." Sein Heiliger Geist ist kein Vertröster, keine Vertrösterin, er bzw. sie ermutigt vielmehr dazu, endlich Mensch zu werden, Mitmensch und Mitgeschöpf wie Jesus von Nazaret, wie Teresa. Da werden unsere Begabungen und Möglichkeiten gewagt und wahrgenommen, da kommen unsere Grenzen und Beschränkungen ans Licht. Da sorgen wir uns um Mutter Erde, Demut ist die ökologische Grundhaltung schlechthin.
Vor kurzem wurde Michael Sandel, ein führender Sozialphilosoph der USA, nach dem wichtigsten Gegenmittel gefragt zur Bewältigung gegenwärtigen Krisen. Seine Antwort wörtlich: "Demut. Sie kann mehrfach segensreich wirken: Sie hilft gegen die Hybris der Selbstüberschätzung von Individuen, sie bringt einem in Demokratien bei, den Andersdenkenden zuzuhören, sich in die Perspektive von anderen hineinzuversetzen, und sie trägt im Gleichgewicht der Staaten dazu bei, dass der Westen sich nicht überhebt."
Ja, ich finde, Sandel trifft ins Schwarze. In einer Zeit, in der wir auf Mutter Erde herumtrampeln bis zur Gefahr ihrer völligen Verwüstung, ist Erdverbundenheit eine sehr basale Tugend. "Boden wieder gut machen" – das ist die einzige Perspektive, die weiter hilft, im großen und im Kleinen. Und der Zeitdiagnostiker Sandel setzt fort: Demut "ist es, die uns zu mehr Offenheit erziehen kann, die uns die Zufälle des Lebens erkennen lässt, die uns hilft, in unseren Gemeinwesen wechselseitige Verpflichtungen wahrzunehmen, die Erfolgsethik der Gewinner zu überwinden und gegenüber anderen großzügig zu sein."
Ja, Demut ist aktueller denn je, ohne sie keine Bewahrung der Schöpfung, keine Gerechtigkeit und kein Friede. Demut ist das Gegenteil von Nichtstun und fauler Ergebung. Es geht darum, auf den Teppich zu kommen und, wortwörtlich, Boden wieder gut zu machen.