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Ach, du lieber Gott!

Morgenandacht, 12.08.2023

Pfarrer Detlef Ziegler, Münster

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Ach, du lieber Gott!

Wie oft ist mir dieser Ausruf schon über die Lippen gekommen, meistens in Momenten der Überraschung, des Erstaunens, auch des Entsetzens. Ach du lieber Gott: Das hätte ich nicht für möglich gehalten, damit war nun wirklich nicht zu rechnen.

Kein Attribut findet sich so häufig in Verbindung mit der Nennung und Anrufung Gottes wie die Zuschreibung der Liebe: So ist und vor allem so soll er sein: lieb. Der liebe Gott! Warum dieses geradezu inflationäre Etikett?

Weil es so in der Bibel steht? In der Tat lese ich im ersten Johannesbrief diesen theologischen Spitzensatz: Gott ist Liebe! Und zugleich verbietet mir die eigene Erfahrung, von der Liebe nicht zu billig zu denken, sie zu verharmlosen, sie mit Kitsch zu verwechseln. Liebe ist nicht harmlos, so wenig wie Gott harmlos und zum Kuscheln ist.

Zu denken gibt mir der Kirchenvater und Theologe Augustinus, der im Übrigen in seinen jungen Jahren ein leidenschaftlicher Liebhaber war und über echte zwischenmenschliche Liebe in vielen Variationen sich auslässt. Zwei Kostproben: Er sagt: "Die Liebe schlägt zu, Übelwollen redet nach dem Munde… Oder: Der Freund gerät in Zorn und liebt, der getarnte Feind schmeichelt und hasst."

Wohl wahr, möchte man sagen. Wer wirklich liebt, traut sich, dem Geliebten die Wahrheit zu sagen. Wer wirklich liebt, kann zornig werden, wenn die Liebe, wodurch auch immer, verraten wird.  Nach dem Mund reden, schmeicheln, schönreden, all das zeugt nicht von großer Liebe. Liebe ist fähig zum Zorn!

Unter allen Propheten des Alten Testaments ist es vor allem Hosea, der mit Bildern der Liebe und Vermählung über Gottes Liebe zu Israel nachdenkt. Im 6. Kapitel lese ich von einem erstaunlichen Bekenntnis aus dem Munde Gottes: "Ich habe Lust an der Liebe!" Kein harmloses und flüchtiges Techtelmechtel ist hier beschworen, kein One-Night-Stand, der nicht mal nach dem Namen fragt, sondern eine leidenschaftliche Liebe, die Gott an die geliebten Menschen in seinem Volk bindet…und die ihn leiden macht an Israel.

Denn ihre Liebe ist unbeständig und macht es sich bequem, sucht den Weg des geringsten Einsatzes, verliert sich im Vordergründigen. Die Liebe Israels ist, wie Hosea es poetisch formuliert, wie eine Schönwetterwolke am Morgen, die sich bald auflöst, wie der Morgentau, der in der Sonne dahinschmilzt.

Menschlich, allzu menschlich, reagiert Gott, wie ein enttäuschter Liebhaber. Groß ist der Schmerz, wenn Liebe verraten wird, unerwidert bleibt. Unverblümt lässt Hosea das Gotteswort über Israel ergehen: "Im Zorn schlage ich zu, töte durch die Worte meines Mundes."

Von wegen, der liebe Gott! Ein enttäuschter Gott steht hier auf, ein zorniger. Wer je tief und innig geliebt hat, weiß, zu welchem Zorn Liebe fähig ist. Rechne ich, rechnen wir ernsthaft mit diesem Zorn Gottes? Ein Zorn, der nicht physisch tötet, der aber sehr wohl mir den Spiegel vorhält, der mich beschämt, der es mir nicht bequem macht? Ein Zorn aus Liebe, aus Liebeskummer, der aufrüttelt, verstört und zur Besinnung führt?

Nur von einem Menschen, der mir unverstellt und verletzlich seine Liebe verspricht, von dem ich weiß, dass er es gut mit mir meint, nur von einem solchen Menschen lasse ich mir wirklich im tiefsten Inneren etwas sagen. Hoffentlich rührt es mich auch an, wenn Gott selbst sich zu einer solchen Liebeserklärung mir gegenüber hinreißen lässt, eine Liebeserklärung, die alles Drumherum zweitrangig werden lässt. Was wirklich zählt, ist die Liebe.

Ach du lieber Gott!  Das werde ich bestimmt noch oft sagen… und rechne hoffentlich auch mit seiner Liebe Zorn, der mich in eine heilsame Unruhe versetzen mag.

Über den Autor Pfarrer Detlef Ziegler

Pfarrer Dr. Detlef Ziegler, geboren und aufgewachsen im Ruhgebiet, studierte Theologie, Philosophie, klassische Philologie und Pädagogik in Münster und München. 1985 wurde er in Münster zum Priester geweiht. Von 1990 bis 2001 war er Studienrat am Gymnasium Paulinum in Münster und danach in der Aus- und Fortbildung im Bistum Münster tätig. Zudem hatte er Lehraufträge für philosophische und theologische Anthropologie, Neues Testament und Homiletik in Münster und Paderborn.

Kontakt: ziegler@bistum-muenster.de