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Menschen und Migration

Morgenandacht, 12.11.2024

Christopher Hoffmann, Neuwied

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Ein ganz normaler Dienstagmorgen: Nach dem Frühstück – zwei Brote und ein großer Kaffee – fahre ich zur Arbeit.

Man kann diese Alltäglichkeit aber auch so erzählen: Auf meinem Frühstücktisch liegt ein Brot, das ich nur deshalb genießen kann, weil der Bäckereifachverkäufer aus Marokko es mir gestern Abend in der Filiale um die Ecke verkauft hat. Den Weg zur Arbeit wiederum passiere ich nur deshalb ohne Stau, weil hier endlich die Brückenschäden behoben wurden. Und das haben vor allem Männer aus Osteuropa fertiggebracht.

An der Tankstelle bezahle ich bei einer jungen Frau, die aus Portugal ins Rheinland gezogen ist und hier neben ihrem Studium jobbt. Und als ich den Parkplatz unseres Büros ansteuere, biegt neben mir die mobile Sozialstation auf den Hof der alten Nachbarin. Am Steuer sitzt eine Krankenpflegerin, die 2015 aus Eritrea nach Deutschland geflüchtet ist. Mit ihrer Hilfe kann die Nachbarin aus dem Pflegebett aufstehen und mir nachher, wenn ich zum nächsten Termin fahre, aus dem Fenster zuwinken.

Ich erzähle das alles, weil ich mit Sorge eine wachsende Stimmung gegen Migrantinnen und Migranten in unserem Land wahrnehme. Klar ist: Wenn Menschen, die aus anderen Ländern zu uns gekommen sind, hier abscheuliche Morde verüben, wie in Mannheim oder Solingen, dann ist das absolut inakzeptabel und muss mit aller zur Verfügung stehenden Härte bestraft werden. Klar ist aber auch: In unserem Land würden so viele Menschen nicht gepflegt, Straßen nicht mehr gebaut und wir würden im wahrsten Sinne des Wortes auch vieles nicht mehr "gebacken" bekommen ohne unsere Migrantinnen und Migranten. Und ich wünsche mir, dass wir in der aktuell so aufgeheizten Stimmung nicht verlernen zu differenzieren: Zwischen Menschen, die in ihrem Hass gestoppt werden müssen, und Menschen, die selbst vor Hass und Terror in ihrer Heimat fliehen mussten. Und weiterhin Hilfe brauchen. Für das Funktionieren unserer Gesellschaft sind viele von ihnen längst eine kaum ersetzbare Hilfe.

Und als Christ steht für mich fest: Jeder Mensch, egal von wo er kommt, welche Hautfarbe er hat und an was er glaubt - ist ein einmaliges Geschöpf Gottes. Das haben auch die katholischen Bischöfe in Deutschland in diesem Jahr in einer gemeinsamen Erklärung festgehalten. Darin schreiben sie:

"Jeder Mensch besitzt eine unantastbare und unverfügbare Würde. Sie gründet in der Gottebenbildlichkeit aller Menschen und ist die Basis der Menschenrechte. […] Wir sagen mit aller Klarheit: Völkischer Nationalismus ist mit dem christlichen Gottes- und Menschenbild unvereinbar. Rechtsextreme Parteien und solche, die am Rande dieser Ideologie wuchern, können für Christinnen und Christen daher kein Ort ihrer politischen Betätigung sein und sind auch nicht wählbar." [1]

So die deutsche Bischofskonferenz.

Migration, Asyl, Fluchtbewegungen – das alles ist und bleibt komplex. Als Seelsorger, der täglich mit Menschen zu tun hat, die nach Deutschland fliehen mussten, weiß ich aber: Unser individuelles Recht auf Asyl ist kostbar und wird dem Einzelfall gerecht. Aber keinem ist geholfen, wenn wir auf vermeintlich einfache Lösungen setzen, die es nicht gibt.

Was es gibt: Menschen mit ihrem je einmaligen Lebensweg. Ich begegne ihnen z.B. in Cafés für geflüchtete Menschen. Menschen wie Amira**, die sich in Kabul nicht mehr aus dem Haus getraut hat, weil die Taliban sie umbringen wollten. Amira hatte mit deutschen Behörden zusammengearbeitet. Jetzt ist sie sicher in Deutschland. Viele ihrer Freundinnen noch nicht.  Oder Menschen wie Meklit**, der in seiner Heimat Eritrea gefoltert wurde und hier Asyl bekam. Ich will als Bürger dieses Landes, dass Menschen wie Amira und Meklit auch in Zukunft ihre Geschichte erzählen können – und Deutschland ihnen dann Asyl und Schutz gewähren kann. Und ich will es als Christ, weil auch Amira und Meklit einmalige Abbilder Gottes sind, meine Schwestern und Brüder. Auch ihre Würde ist unantastbar.


[1] Quelle: https://www.dbk-shop.de/de/publikationen/sonstige-publikationen/voelkischer-nationalismus-christentum-unvereinbar-erklaerung-deutschen-bischoefe#files, Download und Ausdruck vom 19.10.2024.

* Namen geändert.

Über den Autor Christopher Hoffmann

Christopher Hoffmann, geboren 1985 im Hunsrück, ist Pastoralreferent und Rundfunkbeauftragter bei der Katholischen Rundfunkarbeit am SWR.  Nach dem Studium der Theologie in Trier und Freiburg und der Seelsorgeausbildung im Rheinland ist er aktuell in der Pastoral für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene im Raum Neuwied aktiv. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er am ifp in München. In seiner Freizeit liebt er Musik und singt seit vielen Jahren in verschiedenen Bands und Chören.

Kontakt: christopher.hoffmann@bistum-trier.de