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Weise ist, wer spielen kann

Morgenandacht, 13.06.2023

Sebastian Fiebig, Hamburg

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Wenn ich Ihnen jetzt "Frohe Weihnachten" wünsche, würde ich es Ihnen nicht übel nehmen, wenn Sie denken: "Der Mann im Radio ist nicht ganz bei Verstand!" Und doch kann ich Ihnen berichten, dass ich vor vier Wochen – also im Mai – Weihnachten gefeiert habe, und zwar im thüringischen Brehme.

Ein Radiosender hatte ein Spiel ausgerufen zwischen zwei Dörfern. Zu gewinnen gab es ein großes Konzert im eigenen Ort. 30 Aufgaben galt es dabei für die Dorfgemeinschaft zu lösen. Das Thema war absurd: Weihnachten im Mai, also "MAInachten". So wurde ein ausgestopftes Rentier organisiert, der Kinderchor sang Weihnachtslieder, eine Glühweinbude und ein Iglu wurden aufgestellt und ein 40 Kilo schwerer Christstollen gebacken.

Das ganze Dorf legte sich ins Zeug, zehn Tage lang. Endlich mal mit allen zusammen etwas entwickeln, das war großartig und hat die Gemeinschaft gestärkt. Sie haben alles gegeben, alle Aufgaben erfüllt und eine Weihnachtswelt erschaffen. Doch das andere Dorf hat sich ebenso angestrengt und auch alles gelöst, und so entschied am Ende eine Schätzfrage über Sieg und Niederlage; man hätte auch würfeln können. Am Ende haben das Spiel die anderen gewonnen. Die Enttäuschung in Brehme war nicht gerade klein. Was kann man da zum Trost sagen? "Es war doch nur ein Spiel"? Sicher nicht!

Wer kleine Kinder beim Spielen beobachtet sieht sie oft ganz versunken, mit großem Ernst bei der Sache. Sie sind völlig eingetaucht in eine andere Welt. Ist es Ernst oder Spiel? Es ist ein ernsthaftes Spiel. Kinder lernen ja durch das Spielen, sich die Welt vertraut zu machen. Mit viel Leichtigkeit, mit Lust am Entdecken und auf kreativen Wegen. Mit tausend Möglichkeiten wollen sie alles probieren. Nicht nur das Notwendige tun, sondern Freude haben am Erschaffen. Spielen ist so viel mehr als bloßer Zeitvertreib.

Und wie ist das bei den Erwachsenen? Ich meine: Glücklich sind die, die sich einen Teil ihrer Kindheit bewahren können. "Nur wer erwachsen wird und ein Kind bleibt, ist ein Mensch", sagt Erich Kästner. Wer bei strahlendem Sonnenschein im Mai mit dem Nikolaus Schlittschuh fährt, der hat sich wohl ganz viel von seiner Kindheit bewahrt. Ja, die Aktion rund um MAInachten war ein Spiel. Doch weise ist, wer spielen kann.

Es gibt sogar eine kleine Szene über das Spielen in der Bibel, und zwar im Buch der Sprichwörter. Da spricht höchstpersönlich: die Weisheit. Und sie sagt nicht, was man erwarten könnte, etwa: "Ich bin die Weisheit, ich bin ganz seriös und sage kluge Dinge." Nein, die Weisheit sagt da: "Ich spielte vor den Füßen Gottes, als er die Welt erschuf."

Die Weisheit wie ein spielendes Kind, das finde ich stark. Ich stelle mir die beiden bildlich vor: Die spielende Weisheit und der kreative Schöpfergott. Was für ein Gespann! Was können sie zusammen aushecken mit ihrer Phantasie? Mit welcher Leichtigkeit mögen sie die gewichtige Welt ins Dasein holen? Bestimmt lachen sie viel zusammen. Sie erfinden ganze Welten aus reiner Freude. Ihr Spielfeld ist die Welt.

Doch was sie tun, ist nicht ohne Zweck. Mit ihrer Freude an Kreativität und am Spielen erschaffen sie ja Etwas. Die Welt. Uns Menschen. In diesem biblischen Bild sind wir alle Geschöpfe der Freude, Kinder des Spiels. Denn: Weise ist, wer spielen kann.

Über den Autor Sebastian Fiebig

Sebastian Fiebig wuchs in Hamburg auf und studierte Theologie in Münster. Heute arbeitet er als Pastoralreferent im Erzbistum Hamburg. Sein Weg führte ihn in die Pfarrpastoral und die Seemannsseelsorge im Hamburger Hafen. Beauftragt wurde er auch mit dem Gedächtnis an die Lübecker Märtyrer, die in der Zeit des Nationalsozialismus Widerstand leisteten und hingerichtet wurden. Sebastian Fiebig wurde in die Ökumene- und Liturgiekommission des Erzbistums berufen. Seit vielen Jahren schreibt er Radiobeiträge für die Kirchensendungen des NDR.

Kontakt: sebastian.fiebig@erzbistum-hamburg.org