Vor unserer Kirche in Weimar befindet sich ein großer städtischer Platz. Aus sechs Richtungen trifft sich hier der Straßenverkehr auf einer großen Kreuzung. Von dem Platz wird gesagt, dass er keine Seele habe – aber viel Potenzial.
Ein Team von jungen Kreativen und Stadtplanern will dieses Potenzial nun heben. Nachdem die Stadt die Genehmigung erteilt hatte und hohe Gebühren bezahlt waren, wurde der Platz für Auto und Busverkehr drei Tage lang gesperrt. Nachbarn und Initiativen waren im Vorfeld aufgerufen worden, mit ihren Ideen diesen öffentlichen Platz einmal anders zu nutzen, zu besetzen oder zu bespielen. Das brauchte Überzeugungsarbeit. Denn es fehlte die Vorstellungskraft, dass Menschen einen städtischen Platz friedlich erobern und ihn gut gemeinsam nutzen.
Dann aber schufen Kinder mit Straßenmalkreide kleine Kunstwerke auf der Straße, eine Kleidertauschbörse fand statt. Es wurde Federball gespielt, Schach und Boule. Ein kleiner Buchverlag hatte einen mobilen Laden aufgebaut, das anliegende Kaffee machte wohl den Umsatz des Jahres.
Und wir von der Kirche haben kurzerhand die große Eingangstür geöffnet und drinnen ein Orgelkonzert gegeben. Es zog die Passanten an, denn es war auch draußen zu hören, weil es ja nun keinen Verkehrslärm mehr gab. Wir feierten einen Gottesdienst und veranstalteten ein Kirchenkaffee dort, wo sonst Bus und Autoverkehr über den Platz donnern.
Ich hatte mir vier Stühle genommen, dazu einen kleinen Tisch und stellte sie einfach vor die Kirche. Auf den Tisch stellte ich eine Kerze, eine Ikone, ein paar Flaschen Wasser, Becher. Es dauerte nur wenige Augenblicke bis die ersten vorbeigehenden Leute stehen blieben. Die Zusammenstellung auf dem Tisch mit religiösem Bild und Kerze war anders als das Angebot drumherum. Schnell waren die Stühle besetzt, jemand fragte, ob er sich beim Wasser bedienen könne. "Natürlich", sagte ich – und plötzlich begann er von sich aus davon zu erzählen, dass er die Kirche am Platz ja schon immer einmal besichtigen wollte, aber sich nicht reingetraut habe. Heute, in dieser gelösten Atmosphäre, wolle er aber gerne das Angebot annehmen werde.
Drei Touristinnen – ich hatte sie gar nicht bemerkt – beobachteten das ganze eine Weile vom Rand des Platzes. Bis eine den Mut fasste mich anzusprechen und sagte: "Sie sind der Pfarrer oder? Ich hab‘ verstanden, was sie hier veranstalten. Sie stellen einfach ein paar Stühle auf den Platz und schauen was passiert. Und die Leute setzen sich und kommen ins Gespräch." – "Wenn Sie das so sehen wollen", sagte ich. "Es gab eigentlich keinen Plan dahinter. Es hat sich so ergeben."
All das fand am Pfingstwochenende statt und für mich war das spontane Fest auf dem Platz ein modernes Bild dafür, was Christen mit dem Pfingstfest verbinden. Die Bibel berichtet davon, dass beim Pfingstwunder in Jerusalem Menschen verschiedenster Herkunft plötzlich einander verstehen konnten, in ein und derselben Sprache. Es ist der Pfingsttag, an dem der Heilige Geist Gottes neu auf die Jünger herabgekommen ist. Erfüllt von diesem Geist fassen die Jünger Mut, sich hinauszuwagen und von einem Gott zu künden, der auf der Seite des Lebens steht und den Menschen zugewandt ist.
Der Heilige Geist, so glaube ich, ist auch heute noch da und zu spüren. Durch ihn wirkt Gott unter uns. Er weht, wo er will, überraschend. Er schafft Begegnungen und führt Menschen zusammen. Der Heilige Geist lässt den einzelnen aufleben und stiftet Gemeinschaft untereinander und auch mit Gott – manchmal auch an Straßenkreuzungen.