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Übungsraum

Morgenandacht, 14.04.2025

Regina Wildgruber, Osnabrück

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Diese Woche vor Ostern ist besonders. Christen nennen sie die Karwoche. Sie schauen in diesen Tagen auf die letzten Tage im Leben des Jesus von Nazareth, gedenken seines Todes und seiner Auferstehung. Schon als Jugendliche war diese Woche für mich von einer einzigartigen Stimmung geprägt. Auf einer Jugendfreizeit haben wir diese Tage genutzt, um auf unser eigenes Leben zu schauen und dabei viel Zeit in der Natur verbracht. Das Ende der Karwoche, zwischen Gründonnerstag und Ostersonntag, ist seitdem für mich von der Liturgie bestimmt, den Gottesdiensten mit ihren eindrucksvollen Texten und starken Symbolen. Brot backen, Ostereier färben und eine Osterkerze zu gestalten gehören für mich auch in diese besondere Woche. Die Karwoche macht mein Leben reicher.

Hier in Mitteleuropa fällt diese besondere Woche in den Frühling. Nachdem in der Natur im Winter vieles abgestorben war und wie tot schien, bricht sich das neue Leben nun mit Macht seine Bahn. Wenn das Osterfest wie in diesem Jahr in der zweiten Aprilhälfte liegt, hat der Frühling mit seinen neuen Trieben, mit kräftigen Farben und ersten warmen Tagen schon Einzug gehalten.

"Zeichen schauen wir nun / Irdisches wird zum Bilde hier; / denn das kreisende Jahr / lässt nach des Winters Frost und Nacht / den Frühling die Erde für Ostern bereiten", so heißt es in einem Hymnus für die Fastenzeit.

Der Wandel, der sich auf so wundervolle Weise in der Natur vollzieht, ist auch ein Bild für das Geheimnis von Ostern: Im Tod ist Leben. Der absolute Nullpunkt wird zum Beginn von etwas Neuem. Im grausamen und verstörenden Kreuzestod des Jesus von Nazareth ist Auferstehung, ist die Zusage auf Leben jenseits von Gewalt und Vernichtung.

In der Karwoche geht es ums Ganze. Es geht um Tod und Leben – um die ganz großen Fragen. Im Alltag bleibt kaum Zeit dafür, diesen Fragen nachzugehen. Die Karwoche ist für mich eine Einladung und ein Übungsraum, die großen Themen in meinem Leben anzuschauen und die Wunden der Welt wahrzunehmen. Die Leidensgeschichte Jesu erzählt von Angst und Verrat, von Gewalt, Folter und Mord. In ihr spiegeln sich die vielen unschuldigen Opfer von Krieg und Terror, die Menschen, die für ihre Überzeugungen einstehen, obwohl es gefährlich ist. Diese Menschen brauchen unsere Solidarität unseren Protest und auch unsere Hoffnung. Dafür schärft die Karwoche meine Aufmerksamkeit. Die Geschichte Jesu macht mich empfindlich für Leid und Ungerechtigkeit in meiner Gegenwart. Sie ermutigt mich, hinzuschauen und gegen das Unrecht aufzustehen. Und auch mit meinen eigenen Grenzen und Verwundungen finde ich mich in der Geschichte Jesu wieder. Ich brauche sie nicht zu verstecken. Es tut mir gut, mich in der Karwoche daran zu erinnern.

Am Ende der Karwoche steht das Osterfest, das an die Auferstehung Jesu erinnert. Es eröffnet eine überraschende und zarte Hoffnungsperspektive. Mit der Auferstehung ist nicht einfach alles wieder gut und es geht nicht alles weiter wie vorher. In einer der biblischen Ostergeschichten zeigt sich der auferstandene Jesus seinen Freunden mit seinen Wunden. Diese behutsame österliche Hoffnung redet das Leid nicht klein. Mich ermutigt sie, Hoffnungszeichen und Perspektiven wahrzunehmen und ihnen trotz allem zu trauen.

Im Übungsraum der Karwoche darf ich probieren, die persönlichen und die politischen Fragen mit der Erfahrung der erwachenden Natur und mit der Geschichte von Tod und Auferstehung Jesu zu verbinden. Ich brauche das nicht ständig zu tun. Aber einmal im Jahr bietet die Karwoche dafür Raum und Zeit.

Über die Autorin Regina Wildgruber

Regina Wildgruber, geboren 1976, studierte Theologie, Philosophie und Psychologie in München, Jerusalem und Münster. 2012 promovierte sie mit einer Arbeit zum biblischen Propheten Daniel. Seit 2013 ist sie Bischöfliche Beauftragte für die Weltkirche in Osnabrück.

Kontakt: r.wildgruber@bistum-os.de