Wie mag das sein, wenn man seine langjährige Heimat aufgeben muss, um in ein Seniorenheim zu ziehen, das wahrscheinlich die letzte Bleibe sein wird? Wie mag es sich anfühlen, wenn man sich von seiner Wohnungseinrichtung trennen muss und von dem meisten Hausstand? Zu einem Umzug ins Seniorenheim gehören viele Abschiede, manche sind wohl für immer.
Wie mag es sich hingegen anfühlen, wenn die alte Heimat nicht nur in der Erinnerung weiterlebt, sondern greifbar in der Nähe ist. Jeden Tag. Die tschechische Künstlerin Kateřina Šedá hat daraus ein Projekt gemacht. In einem österreichischen Seniorenheim fragte sie die Bewohner, wo sie früher gelebt haben und wie ihre Häuser aussahen. Jedes Detail ließ sie sich von den alten Leuten beschreiben. Sie studierte Pläne und Fotos. Dann hat sie diese Gebäude aus Holz detailgetreu nachgebaut, nur viel kleiner als die Originale. Jedes so groß wie zwei oder drei Getränkekisten.
Nun stehen im Garten des Heimes zwanzig Miniaturhäuser. Vögel können darin nisten und Futter bekommen. Vor allem aber können ihre ehemaligen Bewohner sie jeden Tag sehen. Wenn jetzt Gertrude durch den Garten des Altenheims spaziert, kommt sie mit ihrem Rollator an der Miniversion ihres hellblauen Mehrfamilienhauses vorbei, in dem sie in der Erdgeschosswohnung wohnte.
Die Häuser im Garten des Seniorenheims machen das, was nur noch in der Erinnerung lebendig war, für die Bewohner wieder sichtbar und greifbar. Man könnte meinen, dass das den Schmerz über den Verlust vielleicht verstärkt hätte, aber tatsächlich haben die Miniaturhäuser Freude gebracht, sie haben versöhnt und getröstet. Die Häuser sind Zeugen für das ganze Leben. Mehr als es ein einzelner Einrichtungsgegenstand sein kann. Wo und wie jemand wohnt, das sagt viel über den Menschen aus und über die Umstände seines Lebens.
Im Johannesevangelium der Bibel gibt es dazu einen ungewöhnlichen Dialog. Johannes der Täufer erzählt seinen Jüngern von Jesus, und als dieser dann vorbeikommt, heften sich zwei der Jünger an seine Fersen. Jesus dreht sich um und fragt: "Was sucht ihr?" Er nimmt sie ernst. Er weiß nicht schon vorher, was gut für sie ist. Er fragt. Was hätten die beiden antworten können? Sie hätten sagen können: "Wir suchen jemanden, dem wir vertrauen können" oder "Wir suchen einen verständnisvollen Menschen, der uns von Gott erzählt“. Das sagen sie nicht, stattdessen fragen sie zurück: "Rabbi, wo wohnst du?"
Sie werden nicht bloß seine Adresse gemeint haben. In der Anrede steckt schon mehr: Rabbi, das heißt Lehrer. Die Jünger hatten sich offenbar schon halb entschieden, Jesus zu folgen. Von ihm zu lernen, mit ihm zu leben. Jesus lädt sie ein, ihn besser kennenzulernen. Ganz offen, ohne Druck: "Kommt und seht!" Die beiden Männer nehmen die Einladung an: "Da kamen sie mit und sahen, wo er wohnte," und als wäre es ganz selbstverständlich fährt die Bibel fort: "Und blieben jenen Tag bei ihm."
Was war es, das die beiden so erfüllt hat, dass sie bei Jesus blieben? Dass sie nicht nur an jenem Tag bei ihm blieben, sondern für lange Zeit, bis zu seinem Tod und darüber hinaus?
Wo wohnt Jesus denn nun? Jesus schärft seinen Jüngern beim Abschied kurz vor seinem Tod einen Hoffnungssatz ein: "Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen." Das Haus des Vaters, das ist der Wohnort, den Jesus sich gewählt hat und in dem er über alle Zeiten hinweg zuhause ist. Ich mag diese Metapher: Bei Gott zu wohnen, das heißt am Ziel angekommen zu sein, geborgen sein, Heimat zu haben und Liebe zu empfinden. Es sind noch viele Wohnungen dort. Wohnungen für alle Menschen. Heimat für das ganze, das irdische und das himmlische Leben.