Immer wieder treffe ich auf ärmere Mitmenschen, die so gerne anderen auch mal etwas schenken möchten, denen es aber am nötigen Geld fehlt. An ihrem Leiden merke ich – selbst unverdient privilegiert –, wie elementar das doch ist, das Geben und Schenken. "Geben ist seliger als nehmen", heißt es einmal in der Bibel (Apg 20,35). Ja, das Teilen und Schenken gehört zur Würde des Menschen. Wir können und wollen uns mitteilen.
Aber machen wir so nicht den zweiten Schritt vor dem ersten: Gehört nicht das Nehmen genauso wesentlich dazu wie das Geben? Braucht es nicht gerade auch das Annehmen-Können? Die Kunst, sich beschenken zu lassen? Erst wer empfänglich ist, kann auch weitergeben und zur Kommunikation beitragen. Offenkundig ist es wie Ein- und Ausatmen, der Rhythmus macht es, die Balance. Ist auf der einen Seite der Wippe kein Gewicht, das nach unten drückt, kann‘s auf der anderen nicht hochgehen – und wirklicher Austausch zwischen Menschen braucht eben beides: das Hören bzw. Empfangen und das Sprechen und Geben. Und Geschenk wäre dann beides erst recht.
Keine Frage: ich als Mensch bin mir gegeben; ich habe mich nicht selbst gemacht, und verdient habe ich mich auch nicht. Ich bin mir vorgegeben, und jeder Mensch ist das. Wir kommen ins Leben, indem wir uns gebären und ansehen lassen. Mit dem ersten Blickkontakt zwischen Mutter und Kinder beginnt diese Geschichte wechselseitigen Ansehens, und im Grunde natürlich schon die neun Monate davor. Und ein Leben lang mehr werden wir, wenn es gut geht, fähiger zu empfangen und fähiger dann auch zu geben. Das Entscheidende ist immer, dass ich mich lieben lasse.
Religiös gesprochen: Wir Menschen sind Geschöpfe. "Was hast du, was nicht empfangen hättest?", fragt in der Bibel einmal Paulus (1 Kor 4,7). Und die erste Seligpreisung Jesu sagt treffsicher und ermutigend: "Selig sind die Empfänglichen" (Mt 5,3).
Wer immer nur geben will, ist im Verdacht und in der Versuchung, sich aufzuspielen. Nein, wir sind Geschöpfe; und das ist kein Defizit, im Gegenteil eine Auszeichnung. Denn wir verdanken uns einem, der nichts als geben kann und schenken will. Dieser Schöpfergott ist sozusagen in reiner Geberlaune; er schafft aus nichts anderem als aus seiner Lust, die Welt und die Menschen als Partner zu gewinnen, als Mitschöpfer und Mitschöpferinnen. Sein Geben macht uns empfänglich, unser Nehmen und Annehmen macht uns schöpferisch – eine winwin-Situation von Gottes Gnaden.
Ja, wir Menschen sind uns gegeben von woandersher. Die einen sprechen vom Schicksal und hadern vielleicht. Wer glauben darf, weiß sich beschenkt und wortwörtlich begabt. So schrieb z.B. Rainer Maria Rilke seinem Verleger Kippenberg zum 50. Geburtstag ins Stammbuch: "Alles ist Überfluß. Denn genug / war es schon damals, als uns die Kindheit bestürzte / mit unendlichem Dasein. Damals schon / war es zu viel. Wie sollen wir jemals Verkürzte / oder Betrogene sein; wir mit jeglichem Lohn schon Überbelohnten..."
Aus solchen Versen spricht Staunen und Lebenslust. Da wird das Leben nicht nur irgendwie hingenommen, nein es wird mit Zustimmung angenommen. Alles gerät in das Klima von Dankbarkeit und Lebensfreude.
Gewiss, das sind Dichterverse, und allzu oft ist das Dasein nur schwer oder gar eine Zumutung. Deshalb heißt es in der Bergpredigt auch: "Selig ihr Armen", ihr Bedürftigen, ihr Empfänglichen. Je mehr wir uns annehmen und als Gottesgeschenk begreifen lernen, desto mehr haben wir auch zu geben – und das Leben wird zum gesegneten Austausch. "Wie sollen wir jemals Verkürzte / oder Betrogene sein; wir mit jeglichem Lohn schon Überbelohnten?"