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Zeit

Morgenandacht, 14.06.2025

Pfarrer Christian Olding, Geldern

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Es gibt eine Armut. Die macht sich breit von Amerika über Deutschland bis hin nach Japan - gesellschafts- und kulturübergreifend: Die Zeitarmut.

Die Menschen, die unter Zeitarmut leiden, haben zu viele Dinge zu tun und zu wenig Zeit, um sie zu tun. Die Technik mit all ihren wunderbaren Erfindungen – Waschmaschinen, Mikrowellen, Saugroboter, Smartphones und noch smarteren Laptops – all diese Erfindungen haben dazu beigetragen, dass wir Arbeit zumeist in deutlich kürzerer und effizienterer Zeit erledigt bekommen. Dem Menschen steht auch deshalb heute deutlich mehr Freizeit zur Verfügung als noch vor 50 Jahren. Es stimmt aber auch, dass diese Mehr-Zeit einen deutlich geringeren Erholungswert hat als noch vor 50 Jahren.

Eines der Phänomene, das den Erholungswert der Zeit sabotiert, nennt man Zeitkonfetti. Nehmen wir mal an, Sie sind berufstätig und haben am Abend um 19 Uhr eine Stunde Zeit für sich. In dieser Stunde trudeln noch ein, zwei, drei E‑Mails ein, auf die Sie durch ihr Smartphone aufmerksam gemacht werden. Die erste E-mail ignorieren Sie gekonnt. Bei der zweiten stellen Sie fest, es ist unnötige Werbung und auf die dritte reagieren Sie dann doch – mal eben. Außerdem erreichen Sie noch einige Socialmedia Mitteilungen und WhatsApp meldet sich mit dem einen oder anderen gehaltvollen Emoji, wenngleich wenig bedeutsam. So zerfasert diese eine volle Stunde Erholung, die Sie gehabt hätten, in einzelne kleine Konfetti Abschnitte von maximal sechs bis zehn ungestörte Minuten.

Und selbst wenn, selbst wenn es Ihnen gelingt, in dieser einen Stunde Ihr Smartphone, Tablet und den Computer ganz beharrlich und diszipliniert zu ignorieren, so wird allein die Anwesenheit dieser Geräte Sie immer wieder daran erinnern, dass es eventuell, womöglich etwas zu erledigen und zu organisieren gäbe. Das kann dazu führen, dass Sie inneren Druck, Angespanntheit und womöglich Panik verspüren. So hat diese eine Stunde am Ende wenig Erholungswert für Sie gebracht.

Was kann man dagegen tun? Ein entscheidender Schritt ist es, sich mehr mit dem zu beschäftigen, was hier los ist, als mit dem, was jetzt gerade los ist. Dank einer globalisierten Vernetzung kann ich jederzeit mitbekommen, was jetzt gerade irgendwo auf der Welt passiert. Ob ich allerdings in gleichem Maße immer realisiere, was hier in meinen Beziehungen los ist, und hier in meinem Umfeld, in dem ich lebe, das wage ich doch manchmal zu bezweifeln.

Es geht um eine moderne Variante von dem, was Jesus einmal so ausgedrückt hat: "Es kann passieren, dass ein Mensch die ganze Welt gewinnt, dabei aber seine Seele verliert". Nicht selten treiben uns die To-Do Listen und Termine derart durch den Alltag, dass wir den Kontakt zu unserem Innenleben und unseren Bedürfnissen verlieren. Das zieht auch unsere tragenden Beziehungen in Mitleidenschaft.

Ich glaube, wir müssen uns klar machen, dass die Zeit in unseren Häusern und in unseren Beziehungen auf eine andere Weise verläuft als in der Welt unserer Smartphones. Tragende Beziehungen kann man nicht so schnell updaten wie eine Instagram-Seite. Sie verlangen nach einer zusammenhängenden Zeit und das am Stück, häufig und für länger, damit die Beziehungen, die uns wertvoll und wichtig sind, tragen. So verbrachte Zeit dürfte zudem einen spürbaren Erholungswert mit sich bringen. Gehen Sie gemeinsam Essen, treffen Sie sich auf einen Spieleabend oder langen Spaziergang! Am besten gleich heute.

Über den Autor Pfarrer Christian Olding

Pfarrer Christian Olding, geboren 1983, wuchs in Niedersachsen auf. 2011 empfing er die Priesterweihe und ist derzeit in der Pfarrei St. Maria Magdalena am Niederrhein tätig. Mit seinem Projekt v_the experience arbeitet er daran, den Glauben in seiner ganzen Alltagsrelevanz zu vermitteln.

Kontakt: christian.olding@gmail.com
Internet: www.youtube.com/c/vtheexperience