Wenn ich jetzt im Herbst gern die sechs Kilometer vom Büro nach Hause gehe, dann bleibe ich öfter stehen als sonst. Die Farben und der Wind halten mich an. Bäume und Büsche mit ihrem rot, orange, gelb, gold leuchtenden Laub. Blätter auf dem Weg, die so schön rascheln wie das hohe Gras in den Rheinauen, das sich im Wind wiegt. Und wenn ich die Augen schließe, klingt das Spiel der kräftigeren Wellen auf dem Rhein fast ein bisschen wie das Meer.
Stehenbleiben, ein bisschen staunen, den Moment wahrnehmen und runterkommen im Jetzt und Hier. Manchmal verschwindet dabei wie von selbst, was vorhin noch richtig stressig war oder was gleich kommt, wenn ich zuhause bin. Das tut gut. Nachweislich. Solche Momente der Achtsamkeit wirken sich positiv auf die körperliche und geistige Gesundheit aus – das ist wissenschaftlich belegt. So ist das Einüben von Achtsamkeit längst ein Teil der gesunden, modernen Lebensführung geworden und auch der Medizin: als Prävention und als Therapie.
Ursprünglich kommt das Wissen über die stärkende und heilende Kraft von Achtsamkeit aus dem Schatz der Religionen. Eine kurze Geschichte bringt auf den Punkt, worum es geht. Da wird mal einen Zen-Meister, mal ein Rabbi, mal ein christlicher Mönch gefragt, warum er immer so glücklich wirke. Der antwortet daraufhin:
"Wenn ich gehe, dann gehe ich, wenn ich stehe, dann stehe ich, wenn ich sitze, dann sitze ich, wenn ich esse, dann esse ich, wenn ich ruhe, dann ruhe ich… Daraufhin fallen ihm die Fragesteller ins Wort und sagen: Das tun wir auch; was machst Du noch? Er sagt wiederum: Wenn ich gehe, dann gehe ich, wenn ich stehe, dann stehe ich… und so weiter. Wieder sagen die Leute: Ja, wir auch! Der Mönch erwidert daraufhin: Nein, wenn ihr ruht, seid ihr in Gedanken schon auf. Wenn ihr esst, dann steht ihr schon, wenn ihr steht, dann lauft ihr schon… und wenn ihr lauft, dann seid ihr schon am Ziel."
Für mich trifft das ziemlich gut einen Nerv auch meines eigenen Lebens. Meine Tage sind oft durchgetaktet. Und meine Gedanken sind mir dabei genauso oft voraus. Was ich in einem Alltag mit wenigen Atempausen schätzen gelernt habe, das ist eine Achtsamkeitspraxis, die nicht nur den Moment, sondern mein ganzes Leben durchdringt. Das braucht gar nicht viel:
Fünf Minuten, in denen ich nicht einfach nur nach Hause gehe, sondern bewusst die Farben des Herbstes wahrnehme, den Wind, die Obdachlosen in unserer Straße oder die Zärtlichkeit, mit der mein Mann mich in die Arme schließt. Bei all dem nicht einfach nur ganz im Augenblick sein, sondern auch den wahrnehmen, der den Augenblick schenkt: Gott.
Als Christin glaube ich nicht bloß an ein tieferes Schauen der Dinge, sondern an ein tieferes Schauen Gottes in den Dingen. Er kommt mir im Alltäglichen entgegen und lässt mich im Lärm angefüllter Tage nicht nur zu meinem eigenen Herzen zurückkehren, sondern er ruft mich hinein in die ganze Wirklichkeit des Lebens. Christliche Achtsamkeit lehrt, mein Herz auch auf den Ruf Gottes einzustimmen, wie er in der Vielschichtigkeit einer jeden Situation enthalten ist. Darin erahne ich auch den Grund, der mich trägt. Die heilige Teresa von Ávila sagt das so:
"Mögest du wissen, dass du ein Kind Gottes bist. Lass diese Gewissheit mit tiefen Atemzügen bis in deine Knochen dringen und dann erlaube deiner Seele, von Freiheit und Liebe zu singen."
Das ist nicht einfach gesund. Das ist ein Segen fürs Leben.