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Not wenden

Morgenandacht, 14.11.2023

Pfarrer Christoph Stender, Aachen

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Fast täglich berichten die Medien über Katastrophen in der Welt, die tausende Opfer fordern. Die großen Konflikte in der Ukraine und im Nahen Osten. Aber auch die zunehmenden Naturkatastrophen: Das Erdbeben in Marokko, Regenfluten und Dammbrüche in Libyen, das Beben in der Türkei und für einige von uns direkt vor der eigenen Haustür erlitten: das Jahrhunderthochwasser in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen.

Die Nachrichten berichten aber auch von der großen Bereitschaft in der Bevölkerung zu helfen. Einige Helferinnen und Helfer verlassen sogar ihren Wohnort und fahren viele Kilometer, um Betroffenen vor Ort mit eigenen Händen zu helfen. Nicht zu vergessen: die Sach- und Geldspenden, die die Hilfesuchenden oft auch aus anderen Ländern und Kulturen erreichen.

Jeder Mensch hat die Möglichkeit zu helfen. Helfen ist ein Ausdruck von Menschlichkeit. Der frühere Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, Henry Ford, hatte wohl recht mit seiner in die Zukunft schauenden Bemerkung: "Das Geben ist leicht; das Geben überflüssig zu machen, ist viel schwerer."

Und – im wahrsten Sinne des Wortes – die Notwendigkeit des Helfens wird wohl gefragt bleiben, solange es Menschen gibt. Und kaum einer wird behaupten können bisher ganz ohne Hilfe sein Leben gemeistert zu haben. Hilfe kennt viele Variationen, auch ganz kleine: Hilfe beim Einkaufen, im Haushalt oder bei den Schulaufgaben. Hilfe in einem finanziellen Engpass, einer Orientierungslosigkeit in der Berufsfindung oder in Krankheit.

Die Notwendigkeit zu helfen, ist allerdings nicht immer eindeutig. So bin ich oft unsicher, wenn mir in größeren Städten im Minutenabstand bettelnde Menschen begegnen. Soll ich da jedem etwas geben? Vielleicht ist die Not nur vorgetäuscht?

Aber was hilft, ehrliche Hilfsbedürftigkeit zu erkennen?

Ein biblisches Ereignis hat da meinen Blick geweitet: Im Markusevangelium wird von einem Mann namens Bartimäus berichtet, der offensichtlich blind ist. Er hält große Stück auf Jesus und seine Kräfte. Als er erfährt, dass dieser Jesus in seiner unmittelbaren Nähe ist, beginnt er, laut zu ihm zu rufen. Jesus, der um seine Blindheit weiß, wendet sich ihm zu. Nun könnte man vermuten, dass Jesus Bartimäus nun schnell heilt. Nein. Jesus stellt ihm erst einmal eine Frage: Was soll ich für dich tun? (Mk 10, 51)

Zu fragen und nachzufragen, was ein Hilfesuchender aus seiner Perspektive braucht, ist keine Überheblichkeit. Den hilfsbedürftigen Menschen zu fragen, ihm also ein Gesprächsangebot zu machen, ist neben der konkreten Hilfe eine besondere Form der Wertschätzung. Interesse zeigen, vorsichtig nachfragen, ob er von seiner momentanen Lebenssituation etwas mitteilen möchte. Dem Hilfesuchenden auf Augenhöhe begegnen, ihn als Gegenüber respektieren. So wird er nicht reduziert auf den Empfänger einer Wohltat. Er kann so spüren, als Mensch in den Blick genommen zu sein.

Und der Geber einer Wohltat kann dann aus einer solchen Begegnung auch selbst etwas "mitnehmen". Er hat nicht nur das entlastende Gefühl, materiell Gutes getan zu haben. Eine solche, wenn auch nur kurze Begegnung, kann eine Bereicherung sein, reicher um die Erfahrung, wie durch ein Fenster an der Lebenssituation eines anderen Menschen teil haben zu dürfen.

Geben und Empfangen liegen so ganz nah beieinander.

Über den Autor Pfarrer Christoph Stender

Der katholische Priester Christoph Stender ist Mitarbeiter in der gemeindlichen Seelsorge in Aachen. Nach seiner Priesterweihe im Aachener Dom 1987 durch Bischof Klaus Hemmerle, war er als Kaplan in der Eifel tätig und als Religionslehrer am dortigen Clara Fey Gymnasium. Seine studentischen Wurzeln hat er in Paderborn und Frankfurt am Main, dort studierte er Religionspädagogik, Philosophie und Theologie. Dem studentischen Leben begegnete er über lange Jahre als Hochschulpfarrer an den Aachener Hochschulen und im Team des Mentorates für Lehramtsstudierende der Katholischen Theologie an der RWTH Aachen. Von 2017 bis 2022 war er Geistlicher Rektor im Zentralkomitee der Deutschen Katholiken (ZdK).

Kontakt: www.christoph-stender.de