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Mut und Gelassenheit

Morgenandacht, 14.11.2024

Christopher Hoffmann, Neuwied

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Ich war total genervt. Gerade in Berlin losgefahren, machte unser Zug schon in Berlin-Spandau wieder Halt. Eine Oberleitung war auf der Strecke zurück ins Rheinland gerissen. Drei Stunden später sitze ich immer noch in Spandau - und mit den drei anderen Reisenden im Abteil glaube ich: Das wird heute nichts mehr mit der Heimreise. Irgendwann fordert uns dann auch die Stimme eines Bahnmitarbeiters aus dem Off auf: "Fahren Sie mit der S-Bahn zurück zum Hauptbahnhof und organisieren Sie sich eine Unterkunft."

Mein Handyakku ist inzwischen leer, aber ich kann auf Peer zählen: Der Familienvater aus Köln wollte zwar eigentlich zur Kindergartenfeier des Sohnemanns am anderen Morgen wieder zu Hause sein. Aber er nimmt es wie sein Kollege Thomas sportlich. Und dann ist da noch Hassan, ein junger Arzt – der hat zwei riesige Koffer dabei, weil er heute eigentlich umziehen wollte. Und dann nimmt doch noch alles sein gutes Ende: Peer organisiert auf seinem Handy für uns vier Unterkünfte. Und am Ende schlafen wir in einem Hotel auf dem verschneiten Kudamm, nachdem wir zuvor zusammen Berlin bei Nacht erkundet und auf diese unverhoffte Begegnung angestoßen haben. Und Hassan? Der genießt am nächsten Morgen sogar noch den Hotel-Pool, denn in seinen großen Koffern hat er ja auch seine Badehose dabei.

Ich glaube, es war die Gelassenheit von uns vier, die dazu beigetragen hat, dass uns dieses Bahnchaos nicht als Ärgernis, sondern als ein spannendes Erlebnis in Erinnerung geblieben ist. Peer schreibt uns später allen eine Mail, die es auf den Punkt bringt: "Unser Treffen in Berlin war ein Geschenk der Deutschen Bahn."

Und dieses Geschenk erinnert mich an ein schönes Gebet: "Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden."

Diese Bitte wird auch das "Gelassenheitsgebet" genannt. Es stammt vom amerikanischen Theologen Reinhold Niebuhr. Im englischen Original, dem "Serenity prayer" steht die zweite Bitte am Anfang: die um Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann: "Father, give us courage, to change what must be altered."

Das "Gelassenheitsgebet" ist also keine Beruhigungspille. Kein Opium fürs Volk. Das Leben so zu ertragen, wie ich es vorfinde. Denn dieses Gefühl kenne ich ja auch: Dass mich Dinge so lähmen, dass ich das, was ich ändern kann, gar nicht mehr sehe. "Alles doof. Alles  furchtbar. Bringt ja eh alles nichts."Resignation hilft aber niemanden. Ich glaube vielmehr: Mut, Dinge anzupacken, die ich ändern kann – der wird immer wichtiger in Zeiten, wo mir vieles viel zu groß für mich vorkommt: Krisen und Kriege auf dieser Welt.

Und dennoch: Ich kann mich kümmern, um Menschen, die aus Kriegen fliehen. Kann meinen bescheidenen Beitrag zu den Zielen des Pariser Klimaabkommens leisten – so anstrengend und schwer das auch ist. Und kann in Wahlen hinwirken auf die große Politik, mit meiner Stimme für eine gerechtere und nachhaltigere Welt. Ich glaube fest: Gott will, dass wir unser Potential entfalten.

Und dann ist es aber auch wichtig zu realisieren: Ich werde und ich muss nicht die ganze Welt retten. Als gläubiger Mensch kann ich all das, was mich bedrückt, aber was ich nicht ändern kann, in Gottes Hand geben. Mir hilft es, um eine Kraft zu wissen, die meine kleine Welt übersteigt. Der ich im Gebet all das hinhalten darf, was außerhalb meines Einflussbereichs liegt. Und die mir helfen kann, bei der kritischen Unterscheidung dessen, was geht und was nicht geht: "Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden."

Über den Autor Christopher Hoffmann

Christopher Hoffmann, geboren 1985 im Hunsrück, ist Pastoralreferent und Rundfunkbeauftragter bei der Katholischen Rundfunkarbeit am SWR.  Nach dem Studium der Theologie in Trier und Freiburg und der Seelsorgeausbildung im Rheinland ist er aktuell in der Pastoral für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene im Raum Neuwied aktiv. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er am ifp in München. In seiner Freizeit liebt er Musik und singt seit vielen Jahren in verschiedenen Bands und Chören.

Kontakt: christopher.hoffmann@bistum-trier.de