Seit November findet sich in meinem Briefkasten wesentlich mehr Post als das ganze Jahr über. Das liegt an den Briefen von unterschiedlichen Organisationen. Ob für die Umwelt, für Tierwohl oder für Menschen in Not – alle bitten dann um eine Spende.
Und das machen sie genau richtig. Denn die Wochen vor Weihnachten sind der ideale Zeitpunkt. Die Aussicht, dass die angeschriebenen Personen mit einer Spende reagieren, ist dann unübertroffen am höchsten. Auswertungen des Statistischen Bundesamtes bestätigen das. Auch Radio- und Fernsehsender nutzen die Gunst der Stunde und reservieren einiges an Sendezeit für vorweihnachtliche Aktionen: Für einen frei gewählten Spendenbetrag dürfen sich beispielsweise die Hörer einen Song wünschen.
Dazu kommen die Aufrufe von zahlreichen Online-Plattformen. Die Kampagnen der großen kirchlichen Hilfswerke starten in dieser Zeit und unzählige kleinere Vereine vor Ort hoffen auf Zuwendungen für ihre Aktionen. Und: Trotz Inflation und vielerlei Krisen bleibt die Spendenbereitschaft hierzulande bemerkenswert hoch. Bei den vielen schlechten und verstörenden Meldungen Tag für Tag ist das eine erfreuliche Nachricht, die Aufmerksamkeit verdient.
Interessant ist, was hinter dieser beachtlichen Spendenbereitschaft kurz vor Weihnachten steckt. Zwei Richtungen lassen sich da erkennen:
Die einen spenden, weil in dieser Zeit ihr Mitgefühl in besonderer Weise geweckt wird. Nicht nur einem selbst und den Liebsten soll es gut ergehen. Die Menschen, die sich gar nicht oder nur schlecht aus eigenen Mitteln versorgen können, sollen ebenfalls ein schönes Fest erleben.
Gedanken an christliche Nächstenliebe geraten zu diesem Anlass wieder verstärkt in den Blick. Dass die Bibel zu Mildtätigkeit und Barmherzigkeit mit den Armen auffordert, kommt in Erinnerung: "Brich dem Hungrigen dein Brot", sagt beispielsweise der Prophet Jesaja (Jes 58,7). Weil der Mensch alles, was ihn ausmacht, von Gott erhält, soll er dies auch mit anderen teilen und es wird zugesichert, dass Gott einen fröhlichen Geber lieb hat (vgl. 2 Kor 9,7). Vor Weihnachten wird das besonders aktuell: Im Kind in der Krippe schenkt sich Gott selbst. Das ahmen die Menschen nach. Ihre Gaben und Spenden füreinander sind wie eine Antwort darauf.
Die andere Gruppe von Spendern sieht weniger die konkreten Menschen, denen geholfen wird. Sie sind von selbstbezogenen Gefühlen geleitet. Psychologen nennen das den "warm-glow-Effekt". Großzügig sein, gute Taten vollbringen – das bewirkt ein inneres warmes Leuchten. Das Belohnungszentrum im Gehirn löst ein wohliges Glücksgefühl aus, das den Menschen mit sich zufrieden sein lässt.
So oder so: Aus der Sicht der Empfänger hat die Motivation der Spender wohl nur eine untergeordnete Bedeutung. Für sie zählt, dass sie wahrgenommen werden in ihrer Not, dass ihre Bedürftigkeit nicht egal ist. Sie freuen sich, wenn sie sich auch einmal etwas Außergewöhnliches gönnen können oder wenn ihnen eine Sorge abgenommen wird. Dadurch eröffnen sich neue Perspektiven für sie und sie spüren, dass auch sie dazugehören zur großen Menschengemeinschaft.
Insofern ist es doch überaus zu begrüßen, wenn sich so viele mit Spenden engagieren. Etwas abzugeben und miteinander zu teilen, das schafft Verbundenheit und Hoffnung und stärkt das Zusammenleben. Alle, die etwas haben, sollten das deshalb noch viel öfter beherzigen – nicht nur zur Weihnachtszeit.