"Die Freiheit, frei zu sein, bedeutet zuallererst, nicht nur von Furcht, sondern auch von Not frei zu sein." Dieses Wort von Hannah Arendt ist ein starkes Plädoyer für den inneren Zusammenhang von Freiheit, die jedem Menschen zukommt, und der notwendigen Möglichkeit der Teilhabe an materiellem Besitz und der Teilnahme am öffentlichen Leben. Diese Forderung mag uns so selbstverständlich erscheinen, ist aber nicht immer gegeben.
Freiheit ist einer der zentralen Begriffe unseres Grundgesetzes, an dessen Inkraftsetzung vor 75 Jahren wir kommende Woche erinnern. Und das ist wahrlich ein Grund zum Feiern, denn das Grundgesetz garantiert individuelle Freiheitsrechte und den Schutz der Menschenwürde vor staatlicher Willkür. Das ist die Grundlegung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, die unser Gemeinwesen prägt, und die wir gegen alle demokratiefeindlichen Versuche stärken werden!
Freiheit ist ganz eng verbunden mit dem positiven Menschenbild des Grundgesetzes, das von der Bibel geprägt ist. Der Verfassungsrechtler Paul Kirchhof hat einmal sinngemäß dargelegt, dass das Grundgesetz wie ein Baum ist, der starke Wurzeln im jüdisch-christlichen Menschenbild hat. Auf Basis der biblischen Überlieferung sprechen wir von der Gottebenbildlichkeit des Menschen, die sich nicht in äußerer Vergleichbarkeit begründet, sondern in der Freiheit. Der Mensch hat als Ebenbild Gottes Anteil an der schöpferischen Freiheit Gottes, die eng mit Verantwortlichkeit verbunden ist.
In diesem Sinn bedeutet Freiheit die Möglichkeit, sich zu entscheiden, zu binden, Verantwortung zu übernehmen, sich zu engagieren. Sie ist Ausdruck der Würde des Menschen. In der christlichen Anthropologie sprechen wir davon, dass der Mensch ein individuum sociale ist, das heißt: eine einzelne Person, die zwar für sich steht und doch zugleich immer auf Beziehung und auf Gemeinschaft mit anderen angewiesen ist. Oder anders gesagt: Kein Mensch ist eine Insel!
Und daran knüpft auch die Forderung von Hannah Arendt an, dass die Freiheit, frei zu sein eben auch bedeutet, von Not frei zu sein. Wenn wir frei von Not sind, können wir sowohl das eigene Leben als auch das soziale Leben, das Gemeinwesen, in aller Freiheit gestalten. Das erfordert – und zwar nicht nur einmal, sondern immer wieder und für alle – neue Chancen zur Teilhabe, und verpflichtet den Staat und die Gesellschaft. Aus diesem Prinzip lässt sich auch die Forderung nach Inklusion ableiten.
Das Grundgesetz wurzelt stark im jüdisch-christlichen Menschenbild der verantwortlichen Freiheit. Deshalb ist es wichtig, dass die Wurzeln weiterhin stark und nahrhaft sind, um den Baum zu tragen. Wenn wir darüber nachdenken, wie wir auch in Zukunft eine moderne, freie, plurale, offene und globale Gesellschaft sein wollen, dann müssen wir auch über den Wurzelgrund nachdenken. Zu dieser Debatte sollten auch die Kirchen positiv und hoffnungsfroh beitragen. Freiheit bedeutet Fortschritt! Und wir sollten als Christinnen und Christen auf der Seite der Freiheit stehen.
Es geht gegenwärtig darum, klarzumachen, dass Freiheit kein vorübergehendes gesellschaftliches Konstrukt war, sondern von Dauer ist für die gesamte Menschheitsgeschichte. Autoritäre Strukturen und Staatsgebilde gefährden jedoch die Freiheit! Deshalb geht es heute vielleicht mehr denn je um den Einsatz für eine freiheitliche Gesellschaft, in der sich alle Menschen in Freiheit für das Gute entscheiden können. Diese Bewegung muss auch die Kirche voll und ganz unterstützen und sich davon selbst in Pflicht nehmen lassen.