"Setzt mi im April, komm i, wann i will. Setzt mi im Mai, komm i glei!"
Diese Gartenregel habe ich aus Kindertagen noch im Kopf. Sie hat zu tun mit den sogenannten Eisheiligen, die vom 11. bis 15. Mai im Kalender stehen. Erfahrungswerte sagen, dass es an diesen Tagen zum letzten Mal richtig kalt werden könnte, von daher sollte man mit dem Bepflanzen im Garten bis heute warten: Denn heute steht die Heilige Sophia im Kirchenkalender. In der Gartenregel der Eisheiligen auch die "kalte Sophie" genannt, die letzte dieser kalten Boten!
Mittlerweile ist das ja alles ein bisschen anders – mit dem Wechsel zum gregorianischen Kalender 1582 hat sich alles um eine gute Woche nach hinten verschoben – andererseits verschiebt sich durch den Klimawandel wiederum so manches! Aber was bei aller Schiebung gleich sinnvoll bleibt, ist die Geduld und das kluge Warten auf einen richtigen Zeitpunkt. Die ersten warmen Sonnentage verlocken, aber abends wird es doch schnell kühl. Kluges Warten ist ja auch sonst im Leben wichtig.
Ich würde beispielsweise gerne aus einem ersten Impuls heraus eine Entscheidung treffen, aber sie ist noch nicht gereift. Ich würde am liebsten sofort lospoltern, wenn mir etwas nicht passt, aber ich kenne vielleicht noch nicht alle Hintergründe. Manchmal erzählt mir jemand von einem Schnäppchen und ich will es auch sofort haben – aber nach einigem Überlegen merke ich, dass ich es gar nicht brauche. Daraus hat sich die Lebensregel entwickelt, über einer Entscheidung, einem Brief oder einem Kauf nochmal eine Nacht zu schlafen.
Dieser weise Rat hat seinen Sitz im Leben übrigens in der militärischen Tradition, insbesondere in der preußischen und britischen Armee. Dort wurde eine Nacht Bedenkzeit für Beschwerden festgelegt. So sollte verhindert werden, dass es zu impulsiven Reaktionen kommt. Diese Regelung, die auch bei der Bundeswehr verankert ist, dient dazu, sich in schwierigen Situationen abzukühlen und eine überlegte Entscheidung zu treffen.
Selbst die Schlafforschung unterstützt diesen Ratschlag - mit interessanten Beobachtungen. Auch im tiefen Schlaf bleibt das Gehirn aktiv. Es verarbeitet Erlebnisse des Tages und trennt Wichtiges von Unwichtigem, gelernte Fähigkeiten verfestigen sich. Daher kommt es vor, dass sich am Morgen plötzlich Lösungen finden lassen, an die ich Tags zuvor überhaupt nicht gedacht hätte.
Und schließlich: Viele Entscheidungen im Lauf eines Tages machen müde, wir sprechen irgendwann von der Qual der Wahl. Wenn sich im Schlaf alle Körperfunktionen wieder erholt haben, ist sozusagen der Durchblick wieder besser und ich kann schneller eine optimale Entscheidung treffen.
Eine Nacht drüber zu schlafen, ist also auch hirnphysiologisch eine sinnvolle Lebenshilfe. Natürlich erledigt sich nicht alles durch Abwarten oder gar Aussitzen. Aber so manche Aktion ist durch einen besseren Zeitpunkt schon klüger geworden. Die alten Griechen kannten einen eigenen Begriff für den rechten Moment für eine Handlung oder eine Entscheidung: den "Kairos" – der rechte Augenblick als göttlicher Ratschlag, oft sogar als göttliche Figur dargestellt. Man sollte diesen Augenblick nicht verpassen, aber eben auch nicht übereilt handeln. Die Bibel schließlich kennt das Abwarten oder die Geduld auch als eine Tugend von Menschen, die auf Gott vertrauen (vgl. Ps 106,13).
Ob spirituelle oder philosophische Lebenshilfe oder auch Erfahrung in Bauernregeln gepackt: Überlegtes Warten ist in aller Regel der bessere Rat als vorschnelles Urteilen und Handeln.