In einer der vielen Kirchen in Erfurt, und zwar in der Schottenkirche, gibt es bis zum 15. September eine besondere Ausstellung zu sehen. Die romanische Kirche beherbergt in diesen Wochen nämlich 70 Exponate der Künstlerin, und in erster Linie Holzbildhauerin, Hildegard Hendrichs. Wer als katholischer Christ in der DDR groß geworden ist, dem ist Hildegard Hendrichs keine Unbekannte. In diesem Jahr wäre sie 100 Jahre alt geworden. Zugleich jährt sich ihr Todestag zum zehnten Mal.
Aus diesem Anlass präsentiert das Bistum Erfurt eine Retrospektive der Künstlerin und beeindruckenden Persönlichkeit, deren Arbeiten ausschließlich im christlichen Bereich verankert sind. Zahlreiche Sakralbauten, katholische wie evangelische, sind von ihrem künstlerischen Schaffen geprägt.
Geboren und aufgewachsen in Berlin, erlernte sie die Kunst der Holzbildhauerei in der Rhön. Als 23jährige trat sie dem Drittorden des hl. Franz von Assisi bei. Wie sehr die franziskanische Spiritualität ihr Wirken beeinflusste, zeigen viele ihrer Werke. In den 1950er Jahren hielt sie sich mehrere Jahre in Rom und auf dem Berg La Verna bei Arezzo auf, einer wichtigen Lebensstation des Heiligen Franziskus. Julius Kardinal Döpfner, der damalige Bischof von Berlin und prägende Persönlichkeit des Zweiten Vatikanischen Konzils, bewog sie schließlich, in die DDR zurückzukehren.
Ich selbst habe sie in den 90er Jahren kennengelernt. Eine kleine Frau, der man auf den ersten Blick nicht ansah, wie viel Kraft in ihr steckte. Mich berührt vor allem ein Werk von ihr: 1946 schuf sie eine Darstellung, die die Gottesmutter Maria zeigt, wie sie ihren toten Sohn Jesus nach dessen Kreuzigung in den Händen hält. Pietà nennt man solche Darstellungen – das bedeutet übersetzt "Erbarmen", und wenn man Hendrichs Pietà betrachtet, kommt einem als erstes genau dieses Wort in den Sinn.
Erbarmen. Maria, so ganz anders als bei Michelangelos berühmter Pietà, hat hier ein von unendlichem Schmerz gezeichnetes Gesicht. Tief eingefurcht die Gram. Fast kann man den Schmerz hören durch ihren offenen leidverzerrten Mund. Sie hält ihren Sohn, Jesus, wie ein kleines Kind in ihren Armen. Den einen Arm hat sie unter seinen Hals gelegt, damit sein Kopf in ihrer Ellenbeuge ruhen kann. Mit der Hand des anderen Arms hält sie seine Hüfte umklammert, damit er ihr nicht vom Schoß rutscht. Dieses Bild bewegt mich zutiefst. Und ich sehe in diesen Tagen darin nicht nur Maria und Jesus, sondern eine ukrainische oder auch russische Mutter, die ihren Sohn hergeben musste und diesen nun tot in ihren Armen hält.
Auch der Hedwigsaltar, der in der Ausstellung zu sehen ist, zeigt Figurengruppen, denen der Schmerz ins Gesicht geschrieben ist. Er entstand 1949 für ein Flüchtlingsheim in Erfurt. Nach Hendrichs eigener Schilderung hat Papst Pius XII. sie in einer Audienz im März 1951 auf den harten und schmerzhaften Ausdruck ihrer Figuren hingewiesen und sie gebeten, doch "milder" zu arbeiten. Dies ist in der Tat in der Folge in ihren Werken erkennbar.
Die Ausstellung mit dem Titel "Kunst im Dienst der Frohen Botschaft Christi" zeigt das ganze Spektrum ihrer Schaffenskraft, von Holzarbeiten bis hin zu Texten und Melodien. Ihre Werke polarisieren durchaus. Jeder kann sich davon selbst ein Bild machen. Zum Beispiel in der Schottenkirche in Erfurt. Bis zum 15. September.