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Meinungsbildung

Morgenandacht, 15.11.2023

Pfarrer Christoph Stender, Aachen

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Trauen Sie den Informationen in Presse, Funk, Fernsehen oder beschleicht Sie manchmal das Gefühl, dass sie Realität eine andere war als im Bericht dargestellt? Diese Unsicherheit ist in der Bevölkerung laut jüngster Umfrage gestiegen. Vielleicht hat es damit zu tun, dass frisierte, also gefakte Informationen, fast salonfähig geworden sind.

Gerne wird das Format der "angepassten Fakten" oder auch der Lüge kleingeredet mithilfe einer Aussage des ersten Bundeskanzlers der BRD, Konrad Adenauer, der gesagt haben soll: "Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern!" Ja, das hat er auch gesagt, aber seine Aussage ist verkürzt wiedergegeben. Richtig zitiert hat er gesagt: "Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern, nichts hindert mich, weiser zu werden." Mit diesem Zusatz, der zur Wahrheit des Gesagten gehört, hat der Satz eine ganz andere Bedeutung.

Die Möglichkeit zu freier und objektiver Meinungsbildung ist die DNA demokratischer Gesellschaften. Doch es scheint, als würde die Unterscheidung zwischen Fake und Wahrheit immer schwieriger. Wer Fake-News nicht auf den Leim gehen will, muss Meinungsbildung als einen persönlichen Prozess verstehen und nicht als etwas, das unbedacht von anderen übernommen werden kann. Ich muss mich deshalb selbst informieren, mich mit verschiedenen Meinungen auseinandersetzen, um mir eine eigene Meinung bilden zu können.

In der Bibel berichtet der Evangelist Matthäus von einer Diskussion, in der die Meinungen weit auseinander gingen. Es ging um die Frage, für wen die Leute eigentlich diesen Jesus von Nazareth hielten, der durchs Land zog, Massen mobilisierte und mit seinen Aussagen auch polarisierte.

Im Verlauf der Diskussion, fragt Jesus – weil er interessiert an dem war, was seine Leute denken – seine Anhänger: "Für wen halten die Leute mich?" Sie antworteten: "Die einen halten dich für Johannes den Täufer, andere für Elija, wieder andere für Jeremia oder sonst einen der Propheten." (Mt 16,14) Aber damit gibt sich Jesus nicht zufrieden, er fordert seine Jünger heraus, sich eine eigene Meinung zu bilden. Deshalb fragt er sie nach ihrer Meinung: "Ihr aber: Für wen haltet ihr mich?" (Mt 16,15) Einer der Jünger, Simon Petrus, erwidert schließlich: "Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes!" (Mt 16,16)

Jesus reicht es nicht, nachgeplappert zu hören, was die anderen Leute so denken. Er nimmt seine Anhänger in den Blick und macht ihnen klar: Ich will deine Meinung hören. Ich will wissen, wie du die Sache siehst. Deine Einschätzung ist mir wichtig. So entsteht ein Gespräch auf Augenhöhe, in dem auch Gefühle und Emotionen einen Platz haben.

Für mich ist diese Bibelstelle in der Meinungs- und Nachrichtenflut dieser Tage ein wichtiger Gradmesser, mir selbst zu trauen. In einer demokratischen Gesellschaft ist meine Meinung gefragt. Ja, ich muss mir eine fundierte Meinung bilden, um Demokratie lebendig zu halten. Das bedeutet, dass ich genau hinschauen und hinhören muss, Kontakte knüpfe, auch zu Vertretern anderer Meinungen, um sich nicht mit einem Vor-Urteil auf eine Meinungsbildung einzulassen.

Sich eine eigene Meinung zu bilden, kann auch anstrengend sein, ist aber eine Form der eigenen Wertschätzung, die auch Freude bereitet.

Über den Autor Pfarrer Christoph Stender

Der katholische Priester Christoph Stender ist Mitarbeiter in der gemeindlichen Seelsorge in Aachen. Nach seiner Priesterweihe im Aachener Dom 1987 durch Bischof Klaus Hemmerle, war er als Kaplan in der Eifel tätig und als Religionslehrer am dortigen Clara Fey Gymnasium. Seine studentischen Wurzeln hat er in Paderborn und Frankfurt am Main, dort studierte er Religionspädagogik, Philosophie und Theologie. Dem studentischen Leben begegnete er über lange Jahre als Hochschulpfarrer an den Aachener Hochschulen und im Team des Mentorates für Lehramtsstudierende der Katholischen Theologie an der RWTH Aachen. Von 2017 bis 2022 war er Geistlicher Rektor im Zentralkomitee der Deutschen Katholiken (ZdK).

Kontakt: www.christoph-stender.de