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Klugscheißeralarm

Morgenandacht, 16.04.2024

Markus Potthoff, Essen

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"Hörst du die Sirenen? Sie wollen dich warnen. Es ist (…) Klugscheißeralarm." Stefan Stoppok, der Barde aus dem Ruhrgebiet, hat einen neuen Song veröffentlicht. Dieses Lied handelt von Menschen, die alles besser wissen. Und die beschreibt Stoppok so: "Die haben den Durchblick, haben den Plan. Und wenn du grad irgendwo herkommst, kannst du dir sicher sein, dass die schon da waren. Und wissen ganz genau, wie es da ist."

Ich habe laut gelacht, als ich dieses Lied vor einigen Tagen hörte. Ehrlich gesagt, ein bisschen fühlte ich mich ertappt: ich muss zugeben, dass auch ich oft nicht ganz frei davon bin, vieles besser wissen zu wollen. Tatsächlich sind die Besserwisser überall: auf der Arbeit, im Freundeskreis und sogar in der Familie. So richtige Klugscheißer sind ganz schön anstrengend, manchmal schwer erträglich.

Komischerweise dachte ich dabei sofort auch an mir bekannte Kirchenmenschen und daran, dass die Kirche selbst für viele Menschen so etwas wie eine Klugscheißerin ist. Eine Institution, die alles besser weiß und die die Menschen gern belehrt über das, was richtig und falsch ist. Dabei kenne ich niemanden, der belehrt werden will, schon gar nicht von oben herab, moralisierend und besserwisserisch. Aber leider tun das manche Kirchenleute noch immer in einer Weise, die eher abstößt als zum Nachdenken einlädt.

Es wirkt anstößig, wenn die Kirche meint, genau zu wissen, was alles richtig und falsch ist. Oder wenn die Kirche – wie das in früheren Zeiten noch ausgeprägter war – für fast jedes Verhalten bestimmt, ob etwas Sünde ist oder nicht. Zum Beispiel, wenn sie genau zu wissen beansprucht, was die Bibel über Homosexualität sagt und darüber, wer einen Segen verdient. Oft tritt die Kirche auf, als sei sie im unerschütterlichen Besitz der Wahrheit.

Wenn das aber alles mal so klar wäre! Tatsächlich sind viele Fragen komplex und brauchen differenzierte Antworten, und manchmal sind sogar unterschiedliche Positionen in einem christlichen Verständnis gut begründbar – es gibt eine legitime Pluralität christlicher Positionen. Ja, gerade als Christ sage ich: Das Gegenteil einer überzogenen Wahrheitsgewissheit ist theologisch angemessen. Es sind gerade die tiefsten Fragen, auf die wir oft keine sicher feststehenden Antworten haben. Was ist der Sinn, das Woher und das Wohin dieses Universums, gibt es Hoffnung über den Tod hinaus? Der christliche Glaube ist in vielem ein Hineinfragen in die Rätsel unseres Lebens und ein Hineintasten in die Unbegreiflichkeit Gottes. Es ist an der Zeit, dass die Kirche eine neue Art, einen neuen Stil des Sprechens entwickelt, wenn sie Gehör finden will. Für mich ist das eine Kirche, die zulassen kann, dass es manchmal mehr Fragen als Antworten gibt; eine Kirche, die nicht vorschnelle Antworten formuliert, sondern genauer hinschaut; eine Kirche, die differenziert argumentiert; eine Kirche, die Wert darauf legt zuzuhören, um die "Wahrheit" des anderen zu verstehen und daran zu lernen; eine Kirche, die das Gewissen des einzelnen ernst nimmt, eine Kirche, die der Freiheit den Stellenwert einräumt, den sie selbst immer wieder als hohes Gut propagiert.

Ich bin davon überzeugt, dass die Kirche im Geist des Evangeliums Orientierendes und Lebensdienliches zu sagen hat. Und damit darf sie auch kräftigen Widerspruch auslösen. Aber eine Kirche der Freiheit achtet die Glaubens- und Lebensentscheidungen des einzelnen! Wenn die Kirche das wirklich beherzigt und lebt, wird sie auch in Zukunft eine überzeugende Einladung zum christlichen Glauben sein.

Über den Autor Markus Potthoff

Markus Potthoff wurde 1963 in Bochum geboren. Nach dem Studium der Theologie und Philosophie ist er seit 1994 im Dienst des Bistums Essen tätig. Zurzeit leitet er die Hauptabteilung "Pastoral und Bildung" im Bischöflichen Generalvikariat in Essen.

Kontakt: markus.potthoff@bistum-essen.de