Ist das Grundgesetz nach 75 Jahren überhaupt noch zeitgemäß und wirksam auch in aktuellen Herausforderungen wie Migration, Klimawandel, KI, bis hin zum Krieg in der Ukraine und der Gefahr von Terrorismus? Die Frage ist in einem demokratischen Gemeinwesen selbstverständlich berechtigt und stellt Staat und Gesellschaft vor die Daueraufgabe, Stabilität und Dynamik auszubalancieren.
Artikel 146 des Grundgesetzes sagt: "Dieses Grundgesetz verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volk in freier Entscheidung beschlossen worden ist." Im Kontext mit dem damaligen Artikel 23, der die Beitrittsmöglichkeit für weitere Teile Deutschlands festhielt, war das für die Überwindung der deutschen Teilung bedeutsam. Mit der deutschen Einheit ist auch die Frage nach der Rolle Deutschlands in Europa eng verknüpft. Diese Thematik ist mir sehr wichtig gerade im Blick auf die anstehende Europawahl.
Im Zug der Diskussion um den Vertrag von Maastricht wurde 1992 der neue Artikel 23 ins Grundgesetz eingeführt, der die Offenheit und den Beitrag Deutschlands für ein vereintes, föderales Europa als Zusammenschluss demokratischer und rechtsstaatlicher Mitglieder festlegt. Leitend ist das Prinzip der Subsidiarität. Die Europäische Union bringt für jedes Mitglied auch eine Begrenzung eigener Hoheitsrechte mit sich und sowohl gesamteuropäische Entwicklungen als auch Entwicklungen in einzelnen Mitgliedsländern wirken sich in der gesamten EU aus. Wenn diese Herausforderungen zunehmen, spricht man schnell von der Krise Europas.
Doch wir sollten nie vergessen, dass Europa zunächst Frieden bedeutet, der nach so vielen kriegerischen Jahrhunderten eigentlich nicht mehr möglich schien. Durch den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine ist die Europäische Union allerdings in ihrer friedenspolitischen Ausrichtung und in der Frage der gemeinsamen Verteidigung stark gefordert.
Die Weltlage bewirkt derzeit eine Art "Stresstest" für das gesellschaftliche Zusammenleben in Deutschland und auch in Europa. Ich bin mit ganzem Herzen deutscher Bürger und ich bin zugleich leidenschaftlicher Europäer! Das gehört zusammen. Deshalb ist es auch keine Frage, dass ich mich an der Europawahl beteilige. Auch wenn politische Entscheidungsprozesse, Krisen, Auseinandersetzungen und Kriege zwar manchmal den Optimismus bremsen, erschüttern sie nicht dauerhaft mein Vertrauen in die Kraft des geeinten Europas. Eher im Gegenteil! Denn je gefährdeter der Frieden ist, umso wichtiger ist die Einheit zwischen Ländern und die Überwindung von Nationalismus und Populismus.
Ich bin überzeugt, dass wir Menschen brauchen, die sich mit Freiheit und Verantwortung, Solidarität und Weitblick, mit einem positiven Menschenbild und überzeugt von der unbedingten Menschenwürde politisch engagieren. Es ist deshalb jetzt an der Zeit, dem Populismus, Nationalismus und Rassismus unserer Tage deutlich entgegenzutreten und sich für ein demokratisches Europa zu engagieren und verantwortungsvolle Menschen mit starken Mandaten auszustatten. Wählen zu können ist dazu der erste und einfachste Beitrag! Denn die Orientierung Europas an der Menschenwürde, an Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität, Subsidiarität und Nachhaltigkeit ist kein Selbstläufer, sondern braucht gegen die totalitären Kräfte neuen demokratischen Schwung.
Ob das Grundgesetz sich als wirksam erweist, hängt daran, dass wir als Bürgerinnen und Bürger handeln. Denn unsere Demokratie lebt von der Mitwirkung durch das Volk. Unser Grundgesetz bietet dafür alle Voraussetzungen. Es liegt an uns, Europa mit Leben zu erfüllen und darin der obersten Maxime Rechnung zu tragen: dem Schutz der Menschenwürde und der Freiheit für alle.