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Morgenandacht, 16.10.2023

Pfarrer Christoph Seidl, Regensburg

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In den Ferien war ich auf der Insel Amrum – und es hat mir ausgesprochen gutgetan, mehrere Tage so naturverbunden zu leben: mit den Gezeiten von Ebbe und Flut, dem unbändigen Wind, der den Kopf durchbläst, aber auch mit der großen und kleinen Tierwelt in den Schutzgebieten. Stundenlang kann man dort auf Dünenwegen spazieren gehen – eine ganz eigene wunderbare Welt. Die Dünen sind so etwas wie Bollwerke gegen die heranstürmende Nordsee. Weil der Sand allein aber zu wenig stabil wäre, sind die Dünen vielfach von einem besonderen Gras bewachsen, dem Strandhafer. Dieses robuste Gewächs ist nahezu die einzige Pflanze, die hier wachsen kann und dem ständigen "Sandstrahlgebläse" standhalten kann. Durch diese schlichte, aber kräftige Vegetation können die Sandhügel 25 bis 30 m hoch werden und Wind und Wetter, Sturm und Meer trotzen.

So unscheinbar eine einzige Strandhaferpflanze aussieht, so sehr ist sie doch ein Wunderwerk. Das aufrecht wachsende Gras kann bis zu 1,20 m groß werden. Es bildet Wurzeln, die durch reich verzweigte unterirdische Triebe dichte Rasen entwickeln können. An jedem der vielen ruhenden Knoten bilden sich je vier Wurzeln, die sich ihrerseits reich verzweigen können. So entsteht ein unglaublich stabiles Geflecht, das der Düne Halt gibt.

Die Naturgewalten, die in dieser Gegend schon so viel Unheil angerichtet und so markant in das Landschaftsbild eingegriffen haben, lassen mich weiterdenken. Im Leben von uns Menschen stürmt auch vieles auf uns ein – Herausforderungen, die täglichen Nachrichten aus einer unheilen Welt, aber auch die kleinen und großen persönlichen Anstrengungen und Sorgen. Was hilft uns eigentlich – wie der Düne – dabei, dem allem standzuhalten, Wind und Wetter zu trotzen? Haben wir Menschen auch so etwas wie "Standhafer", etwas, das uns Stärke in der Herausforderung oder Stabilität im Sturm verleiht?

Von Matthias Claudius (1740-1815), dem Pfarrerssohn und Dichter, der das bekannte Abendlied "Der Mond ist aufgegangen" geschrieben hat, stammen auch folgende Worte:

"Etwas Festes muss der Mensch haben, daran er zu Anker liege,
etwas, das nicht von ihm abhange, sondern davon er abhängt."

Der Anker ist ein altes, schönes Bild für Hoffnung. Wo Menschen auf Schifffahrt angewiesen sind, ist das "Vor-Anker-Gehen" existenziell mit Schutz und Sicherheit vor den Naturgewalten verbunden. Aber auch sonst brauchen Menschen einen inneren Halt, etwas, woran sie sich in den Stürmen des Weltgeschehens festhalten können. Das Bild vom Strandhafer gefällt mir: was nach außen unaufdringlich und wie eine Zierde aussieht, gibt durch das unterirdische Wurzelgeflecht eine widerstandsfähige Stärke.

So verstehe ich auch meinen Glauben: Er stärkt mich von innen her, er gibt mir Widerstandskraft überall dort, wo ich den Eindruck habe: Jetzt hauts mich doch bald um! Im Hebräerbrief des Neuen Testaments gibt es einen Vers, der das sehr schön ins Wort bringt: Glaube ist: Feststehen in dem, was man erhofft … (Hebr 11,1) Und dieses Feststehen heißt auf Hebräisch nichts anderes als unser Wort Amen! Manchmal sagt man: Nichts ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Amen bedeutet ja auch etwas ganz Festes: So ist es! Darauf vertraue ich! Und so was brauche ich eigentlich immer!

Ich denke mir: solange ich – wie der Strandhafer – so eine innere Stärke, so ein Grundvertrauen ins Leben habe, werden mich die Herausforderungen des Lebens nicht so schnell umhauen. Vielleicht macht mich diese innere Kraft auch immer widerstandsfähiger. Zumindest wünsche ich es mir – und auch Ihnen!

Über den Autor Christoph Seidl

Pfarrer Christoph Seidl wurde 1967 geboren. Er stammt aus Regensburg und ist seit 1992 Priester im Bistum Regensburg. Nach der Kaplanszeit in Straubing arbeitete er in der Priesterausbildung mit und war Studentenpfarrer in Regensburg. Pfarrer Seidl ist als Seelsorger für Berufe im Gesundheits- und Sozialwesen im Bistum Regensburg tätig und als Gemeindeseelsorger in Regensburg – Harting.

Kontakt: seidl@seelsorge-pflege.de