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Morgenandacht, 16.11.2023

Pfarrer Christoph Stender, Aachen

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Hat Sie das auch früher genervt als Sie etwa 14 Jahre alt waren und mitbekamen, wenn Ihre Eltern stolz erzählten, wie niedlich Sie als kleines Kind gewesen seien? Und wie peinlich war es dann, wenn die Großmutter in aller Öffentlichkeit einen saftigen Kuss auf der Wange ihres Enkels platzierte?

Gerade für junge Erwachsene ist ihre Kleinkindzeit abgehakt. Entscheidend ist, was sie aktuell darstellen. Die Entwicklung dahin wird von ihnen vordergründig bei Seite gelegt. Geboren werden, wachsen, sich verändern vom Kleinkind bis hin zum jungen Erwachsenen und weiter. Diese Lebensphasen sind verbunden mit Grenzsituationen wie kindlichem Protest, Pubertät, Abgrenzung von Vorgaben oder dem Ringen um emotionale Autonomie. Wachsen und sich Entwickeln bleibt die Herausforderung des Lebens.

In einem Gedicht, von einer Freundin verfasst, heißt es: "Lass doch wachsen, werden, und liebe, wer du bist." In den Worten schwingt Gelassenheit und Selbstvertrauen mit. Diese Worte verweisen auf meine Persönlichkeit und ihr Werden. Sie stärken das Vertrauen in die eigene Entwicklung und die Überraschungen, die sie bereithält.

Ich war um die 12 Jahre alt, da hat sich folgendes ereignet. An einem Morgen drückte mir kurz vor Beginn des Gottesdienstes der Pfarrer unvermittelt das Lektionar, in dem die biblischen Lesungen standen, in die Hand mit der Aufforderung: "Da, wo das gelbe Band ist, da steht die Lesung, könntest du sie gleich vorlesen?" Zeit zur Intervention blieb nicht, wir zogen in die Kirche ein, die Messe begann. Dann trug ich die Lesung vor, ein Text aus dem Alten Testament, mit gefühlt hundert Kommas und vielen fast unaussprechlichen Eigennamen. Nach dem Gottesdienst sagte eine Frau zu mir: "Das hast du ganz großartig gelesen, würdig, pointiert und einfühlsam."

Bis heute klingt das Lob dieser Frau in mir nach.

Ich hatte das Glück in meiner Entwicklung öfters Ermutigungen zu erfahren, Menschen zu begegnen, die mir etwas zutrauten, was auf den ersten Blick manchmal auch eine Zumutung war. Für diese Begleitung, die mein Selbstwertgefühl und meine soziale Kompetenz gestärkt hat, bin ich sehr dankbar

In der Bibel berichtet der Evangelist Lukas folgendes: "Auf dem Heimweg von einer Wallfahrt, hatten Maria und Josef, die Eltern Jesu, ihr damals 12jähriges Kind aus den Augen verloren. Auf der Suche nach ihrem Jesus fanden sie ihn im Tempel zwischen den Gelehrten. Er war mit ihnen im Gespräch, formulierte Fragen und kommentierte Antworten. Jesu Eltern stellten ihn sorgenvoll zur Rede, warum er hier sei. Seine Antwort: Warum habt ihr mich gesucht? Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meines Vaters ist?" (Lk 2,49)

Jesus erwartete als fast erwachsener Jude, der sich mit seinem Glauben und der Tradition auseinandersetzt, von seinen Eltern ernstgenommen zu werden. So ist in Jesus Leben sein Zutrauen zu sich selbst gewachsen, gefördert auch durch seine Eltern und seine soziale Umgebung.

Damals wie heute ist es für die Entwicklung besonders junger Menschen wichtig, ihnen etwas zuzutrauen, vielleicht auch etwas zuzumuten, in jedem Fall aber, sie damit nicht allein zu lassen.

Über den Autor Pfarrer Christoph Stender

Der katholische Priester Christoph Stender ist Mitarbeiter in der gemeindlichen Seelsorge in Aachen. Nach seiner Priesterweihe im Aachener Dom 1987 durch Bischof Klaus Hemmerle, war er als Kaplan in der Eifel tätig und als Religionslehrer am dortigen Clara Fey Gymnasium. Seine studentischen Wurzeln hat er in Paderborn und Frankfurt am Main, dort studierte er Religionspädagogik, Philosophie und Theologie. Dem studentischen Leben begegnete er über lange Jahre als Hochschulpfarrer an den Aachener Hochschulen und im Team des Mentorates für Lehramtsstudierende der Katholischen Theologie an der RWTH Aachen. Von 2017 bis 2022 war er Geistlicher Rektor im Zentralkomitee der Deutschen Katholiken (ZdK).

Kontakt: www.christoph-stender.de