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Wünsche wagen

Morgenandacht, 16.11.2024

Christopher Hoffmann, Neuwied

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Wir spielen Wikingerschach im Sand, genießen die herrliche Aussicht aufs Meer und gönnen uns zwischendurch ein Eis an der Strandbar. Ein herrlicher Urlaubstag mit Freunden an der holländischen Küste. Dann ein ganz besonderer Anblick, der uns kurz aus unserer heilen Welt reißt: Auf der Promenade hinter uns rollt ein Krankenbett heran. Als die insgesamt vier Personen näherkommen, erkenne ich neben dem Bett eine Frau um die 50 und zwei jüngere Männer. Die drei schieben das Bett. Darauf liegt eine ältere Frau. Sie blickt auf das Meer. Auf den endlosen Horizont. Ihre Augen strahlen. Ihre Gesichtszüge sind entspannt. Die drei Helfer – ist es ihre Familie? Sind es Freunde? Oder Krankenhauspersonal? Ich weiß es nicht. Was ich sehe: Sie sind gerührt. Und ich bin es auch. Ich glaube hier helfen drei Menschen einem vierten, sich einen großen Wunsch zu erfüllen, vielleicht sogar den letzten auf dieser Erde.

Die Szene erinnert mich an eine starke Hilfsaktion: Der Arbeiter-Samariter-Bund hat in jedem der 16 deutschen Bundesländer einen so genannten "Wünschewagen" eingerichtet. Durch Spenden finanziert helfen Menschen zum Beispiel einem schwer kranken 32-Jährigen, der seinen VfB Stuttgart nochmal im Stadion sehen will. Oder einer 20-Jährigen, die an einem bösartigen Hirntumor leidet, nochmal einen Delphin zu streicheln. Viele bewegende Wünsche sind durch jene Menschen Realität geworden, die die Wünsche ihrer Lieben zunächst erkannt und gemeldet haben. Und dann durch Menschen, die sie gemeinsam in die Tat umsetzten. Der "Wünschewagen", eine wunderbare Möglichkeit, Wünsche zu wagen.

Mir fällt auch eine Kollegin ein, deren Arbeit ich während meines Studiums kennenlernen durfte: Eine Krankenhausseelsorgerin an der Uniklinik Hamburg-Eppendorf. Sie erzählte uns angehenden Theologinnen und Theologen, was Seelsorge für sie immer wieder ganz konkret bedeutet: Menschen zu besuchen, die bald sterben werden. Und ihnen noch mal einen letzten Wunsch zu erfüllen. Oder einfach nur mit Menschen die Situation auszuhalten, weil sie als Klinikseelsorgerin manchmal die Einzige auf dieser Erde ist, die noch zu Besuch kommt. Und weil auch diese Menschen den Wunsch haben, nicht alleine sterben zu müssen.

Sie hat uns auch erzählt von ihrer Hoffnung: Dass hinter dem irdischen Horizont noch ein Leben in Gottes Liebe wartet. Dass sie daran glaubt, dass es ein Wiedersehen gibt mit all den Lieben, die schon vorausgegangen sind. Bis heute bekomme ich Gänsehaut, wenn ich an ihre Schilderungen denke.

Die drei Menschen, die das Bett am Meer entlangschieben, die haben mir in meinem Urlaub klar gemacht, dass man wichtige Dinge nicht aufschieben darf. Wenn die Lieblingsband von deinem Kumpel in die Stadt kommt – dann kauf die Konzertkarten und geh mit ihm dahin. Ruf eine Freundin an, die gerade im Tief ist und belass es nicht beim: "Ich müsste mich mal wieder bei ihr melden." Fahr noch mal bei der älteren Nachbarin aus der früheren Wohnung vorbei, die sich immer so über einen Besuch gefreut hat.

Ich muss und will nicht warten, bis meine Liebsten schlimm krank sind. Die nächste Gelegenheit jemandem einen Wunsch zu erfüllen, wartet vielleicht schon um die Ecke. Es muss ja auch kein Meerblick sein. Möglichkeiten gibt es so viele wie Sand am Meer.

Über den Autor Christopher Hoffmann

Christopher Hoffmann, geboren 1985 im Hunsrück, ist Pastoralreferent und Rundfunkbeauftragter bei der Katholischen Rundfunkarbeit am SWR.  Nach dem Studium der Theologie in Trier und Freiburg und der Seelsorgeausbildung im Rheinland ist er aktuell in der Pastoral für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene im Raum Neuwied aktiv. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er am ifp in München. In seiner Freizeit liebt er Musik und singt seit vielen Jahren in verschiedenen Bands und Chören.

Kontakt: christopher.hoffmann@bistum-trier.de