Woher nimmt man die Zuversicht – die Zuversicht am Beginn eines Tages, am Beginn der neuen Woche? Ich lade Sie ein, sich etwas vorzustellen: Einen Absprung. Mit Schwung und Kraft. Und weit, weit nach vorne.
Es geht, anders als erwartet, nicht um Skispringer oder andere Sportler. Es geht, viel kleiner, nur um einen Grashüpfer, einen Heuhüpfer, eine Heuschrecke oder den Heuschreck, wie immer er oder sie regional genannt wird.
Für den Kabarettisten Gerhard Polt ist gerade dieser Heuschreck ein Symbol für die Zuversicht. Aus einem einfachen Grund: "Der Heuschreck springt in die Luft, mit Begeisterung, hoffe ich, und weiß aber nicht, wo er landet. Und das macht der pausenlos. Und trotzdem hat der wahrscheinlich noch Freude, weil wenn man so einem Heuschreck zuschaut, dann sieht das ja nicht sehr verhalten aus, der springt mit einer Energie weg, aber wie gesagt, ins Ungefähre, ins Ungewisse, ohne jede Sicherheit, einen guten Landeplatz zu haben."
Gerhard Polt sagte das bei einer Veranstaltung zum Thema Zuversicht, mitten in der Corona-Pandemie. Zuversicht war damals ziemlich gefragt. Das Bild des abspringenden Heuschrecks setzt sich bei mir sofort fest. Ich finde es sehr lebendig. Und ich frage mich: Was ist das eigentlich für eine großartige Energie, die ein Geschöpf etwas beginnen lässt, offensichtlich ganz ohne den Blick auf das Ergebnis? Meine Absprünge im Alltag sind ja eher banal, verglichen mit denen von Heuschrecken, die bis zum Dreißigfachen ihrer Körperlänge springen.
Und trotzdem kann ich ja auch für mich fragen: Woher kommt die Kraft zum Anfang? Längst nicht jedem Anfang wohnt ein Zauber inne. Längst nicht für jeden Sprung ist eine Landung garantiert und dennoch scheint es so etwas wie ein Naturgesetz zu geben, das so viele Lebewesen auszeichnet: Fang an, spring ab, auch wenn du nicht weißt, wie es ausgehen wird.
Wir Menschen brauchen oft genug Überwindung und Mut für jeden Anfang. Und wir haben im Lauf unseres Lebens gelernt, immer gut auf das Ende zu schauen, bei allem, was wir anfangen. Klug ist offensichtlich der, der das Ergebnis seines Tuns am besten einschätzen kann. Der kommt am besten durchs Leben.
Aus dem, was Gerhard Polt sagt und was mir dazu durch den Kopf geht, möchte ich zwei Dinge lernen, zwei Heuschrecken-Lektionen sozusagen. Gerhard Polt schreibt dem Heuschreck ja zu, dass er Freude empfindet bei jedem Sprung, sonst würde er das ja nicht pausenlos machen. Daher: Heuschrecken-Lektion Nummer eins: Kein Anfang ohne wenigstens einen Funken Freude. Kein Tagesbeginn, ohne zu entdecken, was mir heute Freude machen könnte. Ein Start ohne Freude gelingt nicht. Irgendwas muss es heute, muss es in dieser Woche geben, auf das ich mich freue. Vielleicht liegt es noch nicht ganz sichtbar vor mir, dann muss ich tatsächlich aktiv danach suchen.
Und Heuschrecken-Lektion Nummer zwei: Das meiste in der Natur ist so eingerichtet, dass es funktioniert. Nicht alles, nicht immer, aber doch ziemlich oft. Die Heuschrecken wissen das wahrscheinlich nicht, aber profitieren davon. Und springen einfach. Menschen können vielleicht in allem Zögern und allem Zaudern, in allen Sorgen doch immer wieder die Erfahrung machen, dass es etwas gibt, das trägt, ganz selbstverständlich, wie der Boden auf dem wir stehen. Ja, das ist in der Welt tatsächlich meistens ganz gut eingerichtet. Und als gläubiger Mensch möchte ich mich darauf verlassen, dass diese Welt und das Leben von einem guten Gott gehalten und getragen sind. Klar, das ist mir nicht so eingepflanzt wie die Leichtigkeit der Heuschrecken. Aber die Richtung stimmt. Ich will mir die Zuversicht bewahren. Am Ende lande ich gut.