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Ruf uns aus den Toten!

Morgenandacht, 17.04.2025

Regina Wildgruber, Osnabrück

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Heute Abend beginnen für Christinnen und Christen die drei wichtigsten Tage des Jahres. Auf den heutigen Gründonnerstag folgt morgen der Karfreitag bis hin zur Osternachtfeier in der Nacht auf Sonntag. In der Mitte dieser drei großen, österlichen Tage steht die Passion, die Leidensgeschichte des Jesus von Nazareth, der verraten wird, am Kreuz stirbt und schließlich vom Tod aufersteht.

In diesen österlichen Tagen denke ich immer an ein außergewöhnlich schönes Fresko, das ich vor einigen Jahren in der Chora-Kirche in Istanbul gesehen habe. Es stammt aus dem 14. Jahrhundert und zeigt Jesus Christus als Auferstandenen. Ein junger, kraftvoller Mann in weißen Kleidern. Mit seiner linken Hand hält er einen bärtigen Mann am Arm, mit seiner rechten eine Frau in rotem Gewand. Die beiden wirken überrumpelt, als könnten sie dem energischen Impuls des Auferstandenen noch nicht so recht folgen. Sie sind buchstäblich noch im Tod verfangen – mit den Füßen stehen sie in geöffneten Gräbern. Stellvertretend für die gesamte Menschheit sind hier Adam und Eva dargestellt, die vom Auferstandenen aus dem Tod gezogen werden.

Ich finde dieses Fresko einfach unwiderstehlich. Es strahlt für mich eine ansteckende Lebendigkeit aus, gerade weil Adam und Eva dem Tempo des Auferstandenen offenbar nicht folgen können und noch ganz starr und unbeweglich wirken. Unbeirrbar und schwungvoll zieht sie Christus ins Leben. Für mich passt dazu dieser Liedtext:

"Holz auf Jesu Schulter,
von der Welt verflucht.
Ward zum Baum des Lebens
und bringt gute Frucht.

Kyrie eleison,
sieh, wohin wir gehn.
Ruf uns aus den Toten,
lass uns auferstehn."

Dieses Lied ist in vielen christlichen Kirchen in den vergangenen Wochen der Fastenzeit gesungen worden. Es schildert eine erstaunliche Verwandlung: Aus dem Holz des Kreuzes, das für Folter, Erniedrigung und Vernichtung steht, ist ein lebendiger Baum geworden, der Früchte trägt. Mit diesem Bild haben sich Christinnen und Christen seit frühesten Zeiten zur Auferstehung des Gekreuzigten bekannt. Darin liegt eine drastische Spannung. Die kraftvolle Bewegung ins Leben beginnt in der tiefsten Tiefe des Todes.

In diesem Tod aber ist das Leben verborgen. Das Holz des Kreuzes, an dem Jesus Christus gestorben ist, wird zum Lebensbaum, der mit seinen Früchten nährt und belebt. Diese Erfahrung haben die Weggefährtinnen und -gefährten Jesu in der tiefsten Verzweiflung nach seinem Tod machen dürfen. Deshalb feiern Christinnen und Christen ab heute Abend überall auf der Welt, dass im Tod Leben ist.

Das Bild aus der Chora-Kirche erinnert mich daran, dass es dabei um mehr geht als um ein vergangenes Ereignis. Es geht um die Macht des Todes, die real ist und die Menschen in ihrem Bann hält. Und es geht um die ansteckende Kraft der Auferstehung, die aus Erstarrung und Verzweiflung befreit. Es geht um heute.

"Ruf uns aus den Toten, lass uns auferstehn."

Über die Autorin Regina Wildgruber

Regina Wildgruber, geboren 1976, studierte Theologie, Philosophie und Psychologie in München, Jerusalem und Münster. 2012 promovierte sie mit einer Arbeit zum biblischen Propheten Daniel. Seit 2013 ist sie Bischöfliche Beauftragte für die Weltkirche in Osnabrück.

Kontakt: r.wildgruber@bistum-os.de