Meinen ersten Arbeitstag als Krankenhausseelsorger habe ich so gut in Erinnerung wie nur ganz wenige andere Tage. Es war ein verregneter, trüber 1. September – und genauso war mir innerlich zumute. Als ob meine neue Kollegin, eine Ordensschwester, meine Bedenken gespürt hätte, gab sie mir als Willkommensgruß eine Spruchkarte. Darauf war ein kleiner Junge zu sehen, der im Schwimmbad auf einem hohen Sprungbrett steht und sehr skeptisch in die Tiefe blickt. Genauso fühlte ich mich an diesem Tag – und so trafen die Worte, die quasi als Denkblase über dem Jungen zu lesen waren, ganz besonders auf mich zu: "Lieber Gott, spring du zuerst!"
Genau, dachte ich, "Lieber Gott, spring du zuerst!" Also, der Wunsch nach Hilfe, eine Art Stoßgebet, Gott möge jetzt bei mir sein und mir helfen, den Sprung ist kalte Wasser zu wagen. "Lieber Gott, spring du zuerst."
Diese Karte, die mir die Ordensschwester damals geschenkt hat, sie hat mir tatsächlich in meiner Gefühlslage geholfen: weil ich spüren durfte, sie versteht mich und kann sich in mich einfühlen. Sie hält diesen komischen Tag mit mir aus – und das hat unglaublich gutgetan! Ich konnte meine inneren Widerstände gut überwinden. Ich konnte – um im Bild zu bleiben – darüber hinwegspringen!
Erst später habe ich herausgefunden, was da so bedeutsam für mich war: es gibt einen sprachlichen Zusammenhang zwischen "über ein Hindernis springen bzw. hüpfen" und dem schönen Wort "Hoffnung". Hoffnung, englisch hope, hängt zusammen mit to hop für hüpfen. Wenn ich eine innere Hoffnung spüre, dass ich das vor mir Liegende bewältigen kann, dann ist das wie ein Motor, der mich in Bewegung setzt, eine Motivation für das nächste Stück Weg, damit ich den ersten Schritt gehen kann! Was im Weg steht, was mich hindert, vermag ich mit dieser Hoffnung zu überwinden. Als Theologe fühle ich mich an Psalm 18 aus der Bibel erinnert, dort heißt es: "Mit dir erstürme ich Wälle, mit meinem Gott überspringe ich Mauern." (Ps 18.30)
Ich brauche eine Anfangsmotivation, einen Anstoß, dann kann ich es schaffen! So einen Anstoß möchte auch das Heilige Jahr geben, in dem wir uns gerade befinden. Der verstorbene Papst Franziskus hatte das Jahr überschrieben mit dem Motto "Pilger der Hoffnung". Ein Heiliges Jahr gibt es alle 25 Jahre. Die Tradition geht lange zurück: Im Alten Testament gibt es die Einrichtung eines Jobeljahres, das alle 50 Jahre stattfinden soll – der Name erinnert an unser Jubeljahr. Zu diesen besonderen heiligen Zeiten sollten alle Schulden und Verbindlichkeiten auf Null gestellt werden, damit die Menschen, die in Abhängigkeiten geraten waren, wieder in Freiheit gelangen konnten.
Das machte Hoffnung, so konnte man einen neuen Anfang wagen. Und das Anfangen ist ja bekanntlich immer das Schwerste! Dabei muss das Ziel oder der gute Ausgang noch gar nicht greifbar sein. Von Vaclav Havel, dem früheren tschechischen Ministerpräsidenten sind die Worte überliefert: "Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht." [1]
Allein der Gedanke: "So könnte es gehen!" und ein entsprechender Anstoß sind die "halbe Miete", allein das gibt Hoffnung, und Hoffnung gibt Energie. Also fange ich schon mal diesen neuen Tag wieder an – der erste Schritt ist ja schon getan!
[1] https://7wochenohne.evangelisch.de/node/1125