Wenn die Sache heute passieren würde, es riefe sicher die Gewerkschaften auf den Plan. Und aus unternehmerischer Sicht wäre es der sichere Weg in den Konkurs. Da stellt ein Unternehmer Lohnarbeiter ein, morgens welche, dann kommen mittags noch einige dazu, und kurz vor dem Abend noch weitere. Am Ende des Tages bezahlt er dann allen den gleichen Lohn, den üblichen Betrag für einen ganzen Tag nämlich.
Egal, ob sie den ganzen Tag für ihn geschuftet haben oder nur eine bummelige Stunde. Er fängt mit denen an, die am wenigsten gearbeitet haben und bezahlt die, die am längsten gearbeitet haben zum Schluss. Die für das Geld nur kurz arbeiten mussten, freuen sich natürlich, aber die anderen sind richtig sauer. Der Unternehmer rechtfertigt sich: "Es gibt für euch keinen Grund, aufgebracht zu sein. Ihr habt genau das bekommen, was wir am Morgen vereinbart hatten. Und überhaupt kann ich doch mit meinem Geld machen, was ich will!"
Vielleicht denken Sie wie die ungleich bezahlten Arbeiter: "Das ist unfair! Für zwölf Stunden Arbeit gibt es denselben Lohn wie für eine Stunde!" Vielleicht denken Sie wie ein schlitzohriger Unternehmer: "Warum zahlt er den Lohn in aller Öffentlichkeit aus? Wenn er die Arbeiter in Gruppen hätte kommen lassen, hätte doch niemand die ungleiche Bezahlung bemerkt!" Vielleicht denken Sie auch wie ein engagierter Gewerkschaftler: "Teilzeitbeschäftigung muss proportional genauso vergütet werden wie Vollzeitbeschäftigung! Das ist ein Fall für die Antidiskriminierungsstelle."
Das ist alles richtig, aber die Geschichte ist ja so niemals geschehen. Sie ist ein Gleichnis, das Jesus erzählt. Es heißt: "Das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg" und steht im Matthäusevangelium in der Bibel.
Jesus führt uns vor Augen, was auch heute, 2000 Jahre später, noch oft die menschliche Logik ist: "Leistung muss sich lohnen!" und "Ohne Fleiß kein Preis!" Wenn es anders wäre, dann könnten wir morgen ja auch erst eine Stunde vor Schichtende mit der Arbeit beginnen. Oder uns gleich ganz auf die faule Haut legen. Wenn jemand in unserer Gesellschaft weniger leisten kann oder noch nichts leisten konnte, weil er fremd ist oder krank oder eingeschränkt, dann entsteht oft Unmut bei den vermeintlichen Leistungsträgern. In dieser Logik funktionieren große Teile der Gesellschaft. In dieser Logik dachten auch die damaligen Weinbergbesitzer, ebenso wie die damaligen Arbeiter.
Jesus weiß das. Er hält allen einen Spiegel vor. Denn jetzt kommt die Wendung im Gleichnis. Der Weinbergbesitzer tut das Unerwartete. Er zahlt jedem denselben Lohn. Und er will offenbar mit seiner Auszahlungsmethode sicherstellen, dass das auch alle wissen.
Jesus erzählt dieses Gleichnis, um etwas über Gott deutlich zu machen. So wie der Weinbergbesitzer im Gleichnis denkt, so denkt Gott. Seine Logik ist anders als die Logik der Gesellschaft. Gott ist kein Kaufmann, keiner, der Leistungen gegeneinander aufrechnet, keiner, der die extra Fleißigen oder extra Frommen belohnt. Es spielt am Ende keine Rolle, wie viel Zeit vergeht, ehe man bei Gott ankommt.
Man könnte es darum auch so verstehen: Wer als Kind getauft wurde, Messdiener war, jeden Sonntag in die Kirche geht und seinen Glauben zu leben versucht, der wird genauso reich beschenkt wie der Spitzbube, der erst nach vielen Irrwegen zu Gott gefunden hat. Gott ist einer, der gönnen kann, der großzügig und unermesslich gibt, der mit weitem Herzen beschenkt. Mit vollen Händen und aus Freude. Der jedem gibt, was er zum Leben braucht, jeden Tag das, von dem man einen Tag lang leben und glücklich sein kann.