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Die Liebe beginnt mit der Erinnerung an einen Segen

Morgenandacht, 18.02.2025

Peter-Felix Ruelius, Schlangenbad

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"Mein Vater wollte mich nicht. Als ich das merkte, war ich noch ziemlich klein. Ich hatte keine Ahnung, was mir vorenthalten wurde, und bis ich den Grund erriet, sollte noch viel Zeit vergehen." Mit diesen Zeilen beginnt der Roman "Das versteinerte Herz" von Abdulrazak Gurnah, dem Literaturnobelpreisträger von 2021. Vorangestellt ist dem Buch das Wort eines arabischen Gelehrten. Es lautet: "Die Liebe beginnt mit der Erinnerung an einen Segen."

Es ist ein merkwürdiges Zusammentreffen von zwei Sätzen. "Die Liebe beginnt mit der Erinnerung an einen Segen." – Ich blättere um und lese: "Mein Vater wollte mich nicht."

Man kann es ahnen: Eine schwierige und verwickelte Vater-Sohn-Geschichte zieht sich wie ein roter Faden durch den gesamten Roman. Und inmitten von viel Unausgesprochenem und Sprachlosigkeit steht dieser Satz: "Die Liebe beginnt mit der Erinnerung an einen Segen." Der Protagonist des Romans bekommt diesen Satz ausgerechnet von seinem Vater mit auf den Weg. Das Wort schickt mich selbst auf die Reise in meine Erinnerungen. Wann und von wem habe ich selbst Segen erfahren. Und woran mache ich das fest?

Segen: Das heißt für mich: Jemand stellt mich in einen größeren Zusammenhang, der es gut meint mit mir, der richtig ist. Diesen Zusammenhang kann der, der segnet, nicht aus eigener Kraft herstellen oder garantieren. Gläubige Menschen vertrauen darauf, dass Gott einen Menschen führt und behütet, weil er diese Welt geschaffen hat und trägt. Das sagen sie zu, wenn sie jemandem Segen wünschen, jemanden segnen.

Ja, ich erinnere mich daran, dass Menschen mich in meiner Kindheit und auch später gesegnet haben, auch wenn sie es vielleicht nicht mit diesen Worten ausgedrückt haben. Haben meine Eltern mich gesegnet? Ich gehe davon aus. Sie haben mich ja ins Leben begleitet. Eine winzige Geste ist mir in Erinnerung: Meine ersten Meter auf dem Fahrrad. Mein Vater läuft ein paar Schritte mit, hält mich erst noch fest und lässt mich dann los. Und ich kann fahren. Heute denke ich, in dieser Geste lag ein Segen, unausgesprochen, aber sicher so gemeint.

Die Liebe beginnt mit der Erinnerung an einen Segen. Segen ist dabei kein Schild gegen Waffen und Hass, Segen ist keine Drachenhaut, Segen ist keine Wunderwaffe. Aber Segen macht fähig, selbst etwas von dem zu erahnen, zu glauben, was nicht restlos aufgeht zwischen Himmel und Erde.

Beginnt mit der Erinnerung daran auch schon die Liebe? Es könnte sein, dass in mir das Verständnis für Menschen wächst; es könnte sein, dass in der Erinnerung daran, selbst gesegnet zu sein, so etwas entsteht wie ein liebevoller Blick auf die Menschen, die mit mir in dieser Welt leben und auch in den größeren Zusammenhang der Welt gestellt sind. Für Menschen, die sich in dieser Welt zurechtfinden müssen, oft genug mühevoll und ängstlich. Und es könnte sein, dass das zu mehr Verständnis oder sogar zu Liebe führt. Die Bibel schreibt es einmal so: "Ich will dich segnen und du sollst ein Segen sein" (Genesis 12). Das kann ich tun, ich kann dem Menschen, dem ich begegne, mit oder ohne Worte Segen zusprechen oder Segen zu ihm hindenken und ihn damit in den großen Zusammenhang stellen, in die große Bewegung Gottes zum Menschen.

Über den Autor Dr. Peter-Felix Ruelius

Dr. Peter-Felix Ruelius, geboren 1964, ist Theologe und leitet gemeinsam mit einer Kollegin den Bereich Christliche Unternehmenskultur / Ethik bei den Franziskanerbrüdern vom Hl. Kreuz. Als Trainer, Supervisor und Coach begleitet er Menschen in ihren beruflichen Herausforderungen und Entwicklungen. Peter-Felix Ruelius war lange Zeit als Religionslehrer in Fulda tätig und arbeitete mehrere Jahre in der Lehrerfortbildung.