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Aufgehoben

Morgenandacht, 18.04.2023

Pfarrer Dr. Christoph Seidl, Regensburg

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Vor einigen Wochen haben wir Wolfgang beerdigt. Er wurde 83 Jahre alt. Seine Frau ist schon vor einigen Jahren verstorben, sie war lange pflegebedürftig, zuletzt dement. Wolfgang litt sehr unter dem Tod seiner Frau – am meisten aber darunter, dass er sich immer wieder vorwarf, zu Lebzeiten zu wenig für sie getan zu haben.

Es gab aber auch Lichtblicke, darunter einen besonders schönen: er malte seit vielen Jahren leidenschaftlich gerne Aquarelle. Als Motive wählte er Bilder aus Urlauben mit seiner Frau. Er entwickelte nicht nur eine außerordentlich feine Maltechnik, sondern war auch unglaublich produktiv. Zuletzt gelang es ihm noch, etwa 100 Bilder in einem Katalog zu veröffentlichen. Er wollte, dass die Bilder sozusagen ver-ewigt würden. Aufgehoben für die Nachwelt!

Dieses "Aufgehobensein" war aber auch für ihn ganz persönlich ein wichtiges Thema. Er sehnte sich danach seit früher Kindheit. Er war im Krieg geboren, der Vater hatte sich aus dem Staub gemacht, die Mutter starb, als Wolfgang 13 Jahre alt war. Ein Leben lang begleiteten ihn Fragen wie: Wo gehöre ich hin? Bin ich dennoch gewollt? Geliebt? Wolfgang bezeichnete sich selbst eher als "kritisch religiös", aber an Gott glaubte er auf jeden Fall, und bei ihm fühlte er sich irgendwie geborgen, gut aufgehoben.

Bei der Trauerfeier für Wolfgang wurde das auch durch die Gäste deutlich, die da kamen. Etwa 30 Leute, die sich in den letzten Jahren aufopferungsvoll um ihn gekümmert hatten. Sie alle waren da und signalisierten, dass Wolfgang bei ihnen gut aufgehoben war – und jetzt bei Gott, durch den Tod hindurch!

In diesen Wochen feiern Christen die Auferstehung Jesu Christi, 50 Tage lang, das sind symbolische 7 mal 7 Tage, am 50. Tag ist Pfingsten. Mir kommt es so vor, als würden da ein oder zwei Tage Ostern nicht reichen, um das Leben, das Aufgehobensein zu feiern. Bei Wolfgang war die Sehnsucht danach ein Lebensthema – und es hatte viel mit den Beziehungen zu tun, in denen er sich geborgen fühlte, gerade in schweren Zeiten.

Die Ostererzählungen im Neuen Testament der Bibel sind allesamt Erzählungen von Beziehungen und Begegnungen; wer von der Auferstehung Jesus nur erzählt bekam, tat sich schwer damit. Es waren vor allem die Erfahrungen der konkreten Begegnung mit dem Auferstandenen Jesus, die diese Menschen zum Glauben brachten, und dazu, in alle Welt zu ziehen und von der Auferstehung zu erzählen.

Die Überzeugung entstand in der erfahrenen Begegnung, die ihr Inneres anrührte. Interessanterweise spricht die moderne Trauerforschung von etwas ganz Ähnlichen, nämlich von den continuing bonds, den bleibenden Beziehungen, wenn ein Mensch gestorben ist. Das hat für mich etwas von diesem Aufgehobensein durch den Tod hindurch. Und der Wiener Psychiater Viktor E. Frankl, kein Christ, sondern im jüdischen Glauben verwurzelt, auch er spricht von der Überzeugung, dass im Leben nichts und niemand verloren geht – alles ist aufgehoben wie in einem dicken Roman, auf einem großen bunten Gemälde oder – wie in der Landwirtschaft in einer geräumigen Erntescheune. Frankl schreibt:

"Für gewöhnlich sieht der Mensch nur das Stoppelfeld der Vergänglichkeit; was er übersieht, sind die vollen Scheunen der Vergangenheit. Im Vergangensein ist nämlich nichts unwiederbringlich verloren, vielmehr alles unverlierbar geborgen." [1]

Unverlierbar geborgen! Dieser Gedanke hat Wolfgang aufgerichtet – und er beschreibt für mich sehr wesentlich, was Christen in diesen Wochen als Auferstehung feiern.


[1] Viktor Frankl (1905 - 1997), Der Wille zum Sinn, S. 56.

Über den Autor Christoph Seidl

Pfarrer Christoph Seidl wurde 1967 geboren. Er stammt aus Regensburg und ist seit 1992 Priester im Bistum Regensburg. Nach der Kaplanszeit in Straubing arbeitete er in der Priesterausbildung mit und war Studentenpfarrer in Regensburg. Pfarrer Seidl ist als Seelsorger für Berufe im Gesundheits- und Sozialwesen im Bistum Regensburg tätig und als Gemeindeseelsorger in Regensburg – Harting.

Kontakt: seidl@seelsorge-pflege.de