Es ist nichts mehr zu machen. Der Topf mit Mehl ist leer und der Ölkrug auch. Nur noch Reste für einen Tag und dann? Dann kommt nichts mehr, denn es ist eine große Dürre im Land. Die Bibel erzählt diese Geschichte von einer Witwe, die gemeinsam mit ihrem Sohn im dürren Land wohnt, in einer Dürre, die nichts mehr wachsen lässt. Als ein Prophet zu Besuch kommt und Brot und Wasser verlangt, antwortet die Frau verbittert: Wir haben nur noch zu essen für einen Tag, dann legen wir uns hin und sterben.
Die biblische Geschichte gehört in die Lebensgeschichte des Propheten Elia. Der ist so etwas wie der Star unter den Wundertätern des Alten Testaments. Die Wundergeschichten, die von ihm erzählt werden, decken so ziemlich die ganze Palette ab: Auferweckung eines Toten, Herbeiführung von Regen, und eben auch das Wunder mit dem Ölkrug und dem Mehltopf.
Und offensichtlich haben ja alle Religionen, auch die christliche, eine gewisse Affinität zum Wunder. Des Glaubens liebstes Kind. Wenigstens in früherer Zeit. Heute wahrscheinlich nicht mehr. Und doch. Manchmal fiele mir schon ein, wo ein Wunder nötig wäre. Im Großen und im Kleinen. Dass kriegführende Herrscher in einem lichten Moment den Frieden doch besser finden als den Krieg und dann ihre Kriege einstellen. Das wäre was. Dass Krankheiten geheilt werden, vor allem wenn sie Menschen treffen, die man liebt. Solche Wunder könnten wir brauchen.
Doch man tut sich heute schwer mit dem Wunder. Wenn mal etwas gelingt, mit dem niemand gerechnet hat, dann ist das Äußerste, zu dem wir uns in der Bewertung hinreißen lassen: "Das grenzt schon fast an ein Wunder". Also: Wunder haben wenig Raum.
Warum mir jetzt dieses eine Wunder mit der Witwe so gefällt? Ganz einfach, weil es etwas darüber sagt, wie wir das Verhältnis von unseren Möglichkeiten zu den Möglichkeiten Gottes verstehen können. Nur noch für eine Mahlzeit ist Mehl im Topf und ein bisschen Öl im Krug. "Dann wollen wir sterben." Aber dann geschieht das Wunder. Die Frau bereitet das Essen zu, ihre vermeintlich letzte Mahlzeit, aber der Topf mit Mehl wird nicht leer und genauso geht das Öl im Krug nicht zur Neige. Das Wenige wird zu einem Genug.
Dieses Wunder arbeitet mit dem Rest. Dem Rest an Mehl, dem Rest an Öl. Und das genügt für den Propheten, das genügt für Gott, um daraus einen neuen Anfang zu machen. Und genau das ist es, was ich meine: Den Rest an Kraft, den Rest an Energie, den Rest an Möglichkeiten, den Rest an Mehl oder Öl – meistens sehen wir ihn wie die Witwe in der biblischen Erzählung: Als den Rest, der gerade noch ein bisschen reicht, und dann ist Schluss. Der Rest ist noch da – und wenn er verbraucht ist, ist es das Ende.
Die Bibel kehrt den Blick um. Wo der menschliche Blick sieht, dass der Rest nur noch der Anfang vom Ende ist, sagt die Bibel an dieser Stelle: Dieser Rest kann auch der Anfang vom Anfang sein. Es könnte der Rest sein, aus dem wieder etwas Neues wird.
Was diese Wundererzählung aus dem Alten Testament mir auch noch wertvoll macht, ist folgendes: Gott fängt hier bei dem an, was an Substanz da ist. Nichts fällt hier vom Himmel oder taucht aus dem Nichts auf. Das, was entsteht, entsteht aus dem, was schon da ist. Aus dem Mehl im Topf und dem Öl im Krug. Das wirkt so wohltuend lebensnah. Und übertragen auf mein Leben sagt mir das: Aus dem was ist, aus dem, was du, Mensch, schon hast an Vorrat, an Ressourcen, an Fähigkeiten – genau daraus kann werden, was dich am Leben erhält.
Das Menschenleben, seine Mühen, sein Mangel, seine Ressourcen oder seine Reste – das sind die Orte, an denen Gott wirkt und aus denen Neues entstehen kann. Manchmal auch ein Wunder.