"Als Mary Lennox in das Herrenhaus Misselthwaite geschickt wurde, um bei ihrem Onkel zu leben, sagten die Leute, einem so unangenehm aussehenden Kind seien sie noch nie begegnet."
So beginnt die englische Kinderbuchautorin Frances Hodgson Burnett ihre Geschichte "Der geheime Garten". Nach dem Tod ihrer Eltern wird Mary in das Haus ihres Onkels gebracht. Es ist Winter, das Haus ist riesig und die kleine Mary weiß nichts mit sich anzufangen. Irgendwann wird es dem energischen Kindermädchen zu bunt. Sie schickt das missmutige Kind nach draußen. Das ist der Anfang einer Verwandlung. Mary entdeckt einen geheimen Garten, den seit Jahren niemand betreten hat. Dieser Garten wird ihr Reich, in dem sie zurückschneidet, jätet und pflanzt – und fasziniert beobachtet, wie tot geglaubte Pflanzen sich neu entfalten.
Als Jugendliche habe ich diese Geschichte das erste Mal gelesen und seitdem immer und immer wieder. Mich berührt die tiefe und heilsame Verbundenheit mit der Natur, die die Personen in der Geschichte erleben. Nicht nur der geheime Garten erwacht zum Leben – sie selbst tun es auch.
Heute Abend beginnt das Osterfest. Christen feiern die Auferstehung des gekreuzigten Jesus von Nazareth. Das Neue Testament der Bibel bezeugt die Auferstehung in vielen Geschichten. Nicht wenige dieser Berichte spielen in einem Garten. In einem Garten wird der Gekreuzigte begraben. In diesem Garten finden die Frauen aus seinem Freundeskreis das leere Grab und einen Engel, der ihnen verkündet: Er ist nicht hier, er ist auferstanden.
In einem Garten sucht Maria Magdalena ihren toten Freund Jesus – und begegnet dem auferstandenen Jesus, der sie mit ihrem Namen anspricht und ihrem Leben eine neue Wendung gibt: Sie soll zu seinen Freunden gehen und ihnen berichten, was sie erlebt hat. So wird sie zur Botschafterin der Auferstehung.
Der Garten ist in diesen Geschichten viel mehr als eine Ortsangabe. Er illustriert, was die Wegbegleiterinnen Jesu existentiell erfahren: Der Tod Jesu ist nicht das Ende. Dabei geht es nicht um einen Toten, der auf unerklärliche Weise wieder lebendig wird, sondern um eine Verwandlung. Das lernt auch Maria Magdalena, als sie Jesus im Garten begegnet. "Halte mich nicht fest", sagt Jesus zu ihr. Mit der Auferstehung ist nicht alles wieder, wie es war. Es beginnt etwas ganz Neues.
In der Erzählwelt der Bibel erinnert der Garten der Auferstehung an den Garten der Schöpfung – an den Ort, an dem das Leben anfängt. Die Geschichte von der Erschaffung der Welt durch Gott wird seit ältesten Zeiten in den christlichen Ostergottesdiensten vorgelesen. Sie erzählt davon, dass Gott das Leben will und dass das Leben stärker ist als der Tod. Neuanfang des Lebens – das meint Auferstehung.
50 Tage lang nehmen sich die christlichen Kirchen ab morgen Zeit, um diesen Neuanfang zu feiern, um die Geschichte der Auferstehung zu lesen und nochmal zu lesen. Die 50 Tage der Osterzeit sind auch eine Gelegenheit, den Neuanfängen im eigenen Leben auf die Spur zu kommen.
Wie auch immer Sie in den nächsten Tagen Ostern feiern: Ich wünsche Ihnen, dass Sie Zeit in einem Garten verbringen können. In einem Garten, der sie froh macht und der ihren Blick schärft für die überraschenden Neuanfänge in Ihrem Leben. Ein Garten der Auferstehung, der Mut und Hoffnung schenkt.