Jeden Tag aufmerksam die Nachrichten zu schauen hat‘s in sich. Mich treffen die Bilder von Krieg und Flucht, von Klimakatastrophen und Hunger. Mich treffen auch die zu vielen politischen oder wirtschaftlichen Interessen, die den notwendigen Entwicklungen im Wege stehen. Zwischen diesen Nachrichten aber berühren mich die einfachen Menschen, die in den Reportagen aus den Katastrophenregionen auch manchmal zu Wort kommen: Alte und Junge mit der Not im Gesicht, doch zugleich immer wieder auch mit dieser mitreißenden Hoffnung, die scheinbar durch nichts totzukriegen ist.
Was hat es auf sich mit dieser Art Hoffnung, die die Psychologie die "transzendente Hoffnung" nennt? Das meint: Auch in der schlimmsten Situation das Leben noch als sinnhaft erleben und darum Möglichkeiten erkennen aus dem Nichts; allem zum Trotz auf das Gute vertrauen und die Zuversicht aufbringen, dass sich die Dinge wieder zum Besseren wenden werden; in der Katastrophe den Kopf nicht in den Sand stecken, sondern das Leben weiterhin aktiv gestalten. Die Hoffnung macht‘s möglich. Und die Liebe. Und nicht selten auch der Glaube an Gott in der einen oder anderen Weise: "Inschaallah", "so Gott will", heißt es dann oft.
So viel wir auch über die menschlichen Grundemotionen wissen, sie bleiben doch Teil des Geheimnisses des Lebens. Diesem Geheimnis lässt der Priester-Dichter Lothar Zenetti Raum, wenn er in drei kurzen Versen nicht erklärt, sondern beschreibt, welche Qualitäten Hoffnung, Liebe und Glaube ins Leben bringen. Er schreibt:
"Menschen, die aus der Hoffnung leben, sehen weiter. Menschen, die aus der Liebe leben, sehen tiefer. Menschen, die aus dem Glauben leben, sehen alles in einem anderen Licht."
Und wenn nicht? Auch dann geht das Leben weiter, aber anders. Eine jüdische Geschichte, angelehnt an die biblische Erzählung vom Auszug des Volkes Israel aus der Sklaverei in Ägypten, macht das anschaulich. Da heißt es:
"Als das Volk Israel auf seinem Weg durch das Rote Meer zog, erlebte es ein großes Wunder; einige sagen, das größte Wunder, das je geschehen ist. Das Meer spaltete sich und die Wasserwellen standen da wie große Wände, während das Volk Israel von einem Ufer ans andere in die Freiheit floh. Erstaunlich! Aber nicht für alle. Zwei Männer, Ruben und Schimon, eilten mit der Menge. Kein einziges Mal schauten sie nach oben. Sie bemerkten nur, dass der Boden unter ihren Füßen schlammig war. 'Ach', sagte Ruben, 'hier ist überall Schlamm! Wie scheußlich. Als wir Sklaven in Ägypten waren, mussten wir Ziegel aus Lehm machen, und der Lehm war genau wie dieser Schlamm hier!' – 'Ja', erwiderte Schimon, 'da ist kein Unterschied zwischen der Sklaverei und der Freiheit!' So jammerten und klagten Ruben und Schimon den ganzen Weg. Für sie gab es kein Wunder. Nur Schlamm!" (vgl. Midrasch Exodus Rabba 24,1)
Diese Erzählung macht eine große Geschichte klein, damit der Kern ihrer Botschaft in meinem Leben wieder groß werden kann: Wie gehe ich durch‘s Leben? Was füllt meinen Blick aus? Sehe ich, was ich sehen könnte? Den Schlamm, ja… doch auch die kleinen und die großen Wunder?
Hoffnung, Liebe, Glaube, diese drei… Weiter sehen, tiefer sehen, manchmal die Dinge in einem anderen Licht sehen. Ich war in meinem Leben noch nie so herausgefordert, wie die vielen Menschen, über deren Schicksal unsere Nachrichten Tag für Tag berichten. Viele von ihnen, die auch im Schlimmsten nicht aufgeben, erinnern mich daran, nicht zu übersehen, was mir in meinem Leben unverdient alles geschenkt ist.