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Elia und Nubia – handlungsfähig in der Krise

Morgenandacht, 20.03.2024

Ruth Schneeberger, Friesenheim

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Elia hat keinen leichten Job. Er ist Prophet. Seine Geschichte finde ich in der Bibel, im Alten Testament, und was Elia macht, klingt verrückt. Zuerst wird er von Gott durch halb Israel geschickt und muss allen Leuten ausrichten, was in Zukunft alles Schlimmes passieren wird. Was für eine undankbare Aufgabe! Aber Elia hat wohl einen besonderen Draht zu Gott und das merken die Leute und hören ihm zu.

So ist es auch, als Elia auf eine Frau trifft. In der Bibel hat sie keinen Namen, ich nenne sie Nubia. Nubia steckt gerade in einer schlimmen Krise. Es gibt im ganzen Land nichts mehr zu essen und auch Nubia hat nichts mehr. Sie ist völlig verzweifelt, weil sie keinen Ausweg sieht. Sie kann ihrem Sohn aus ihren Vorräten nur noch ein einziges, letztes Brot backen. Und genau jetzt kommt Elia als Prophet ins Spiel. Er sagt etwas zu dieser bitterarmen Frau, das klingt erstmal absolut unverschämt. Er fordert Nubia auf: "Back erst noch ein kleines Brot für mich. Vom Rest kannst du dann noch etwas für deinen Sohn und dich machen." Klar, dass Nubia abwehrt. Sie kontert empört: "Das kannst du nicht verlangen. Wir haben nichts übrig." Aber Elia lässt nicht locker und macht Nubia ein verrücktes Angebot. "Mach jetzt ein einziges Brot für mich und dann, ich verspreche es dir, wirst du diese Krise durchstehen. Gott hilft dir." Und weiter erklärt Elia: "Wenn du mir etwas gibst, dann werdet ihr beide nicht verhungern." Verrückterweise geht Nubia darauf ein und am Ende überlebt sie die Hungersnot mit ihrem Sohn.

Typisch Bibel – könnte man jetzt einwenden. Eine schöne Geschichte, die irgendwie gut ausgeht, aber mit dem echten Leben heute nichts zu tun hat. Doch, ich finde schon! Wie oft stecken auch heute Menschen in einer völlig aussichtslosen Lage. Das kann Hunger sein oder Obdachlosigkeit. Das können mobbende Kollegen sein, aber auch eine schlimme Krankheit. Wer in so einer hoffnungslosen Situation steckt, kommt nur ganz schwer heraus. Aber eine wichtige Chance gibt es.

Wenn ich jemanden treffe, der mich nicht als Opfer sieht, sondern der mich entscheiden lässt, wie es weitergeht. Natürlich heilt das keine schlimme Krankheit, und es bringt auch kein Wunder in der Hungersnot, aber es verändert doch ganz viel. So wie Nubia. Niemand anderes als sie selbst hat entschieden, ob sie von ihrem letzten Brot etwas hergibt oder nicht.

Ich denke jetzt an Obdachlose, die ohne Vorbedingungen eine Wohnung angeboten bekommen. Bei Projekten, die mit dem Ansatz des "Housing first" arbeiten, funktioniert das so. Da muss der oder die Obdachlose nicht zuerst clean sein oder eine Arbeit gefunden haben, oder sonst etwas erfüllen. Er oder sie wird nur vor die Entscheidung gestellt: "Willst du wieder wohnen oder nicht?" Für viele bringt genau diese Chance die Wende.

Mir fällt da auch meine Freundin ein, die nach einer schweren Operation auf ganz viel Hilfe angewiesen war. Ihr hat es dann immer besonders gut getan, wenn die Familienhelferin sie einbezogen hat und sie entscheiden konnte, was nun wie mit den Kindern gemacht wird. Meine Freundin hat sich dann eben nicht entmündigt gefühlt, sondern sie hat mitgestaltet. Obwohl sie auf den ersten Blick nichts aktiv tun konnte, war sie trotzdem wichtig und gefragt. Das hat ihr viel Selbstwert zurück gegeben.

Wer einen anderen also vom Opfer zum Entscheider macht, der oder die ist wie eine Prophetin. So sehe ich die alte Geschichte mit Elia und Nubia. Sie hat nicht aufgegeben, sondern im letzten Moment ihre kleine, verrückte Chance ergriffen.

Über die Autorin Ruth Schneeberger

Ruth Schneeberger, geboren 1982 in Offenburg, ist Pastoralreferentin und seit 2020 stellvertretende Rundfunkbeauftragte der Erzdiözese Freiburg beim SWR. Neben ihrem Theologiestudium in Freiburg und Graz hat sie immer gerne (Kirchen-)Musik gemacht, mit Kinder- und Jugendchören oder an der Orgel. Im Rahmen der Ausbildung zur Pastoralreferentin begann sie ihr Engagement als Autorin von Verkündigungssendungen. Ruth Schneeberger schreibt seit 2013 für SWR2 und SWR3 und hat die journalistische Ausbildung am ifp in München absolviert. Heute lebt sie im badischen Friesenheim, zusammen mit ihrem Mann, den drei Töchtern und einem halben Dorf "Großfamilie" um sie herum.