Newsletter
Es wurde noch kein Inhalt hinterlegt.

Verzicht

Morgenandacht, 20.09.2023

Wolfgang Drießen, Trier

Beitrag anhören

"Wir werden auf manches verzichten müssen!"

Die Mahnung unseres Bundespräsidenten in seiner Rede zur Eröffnung des letzten Katholikentages habe ich mir gemerkt. Denn Verzicht passt nicht in unsere Konsumgesellschaft. Verzicht richtet das gesamte System zugrunde. Und da soll Verzichten schick werden? Dabei gibt es doch in unserem Land viele Menschen, die brauchen sich an diese Mahnung nicht zu halten. Die verzichten schon lange. Weil sie nämlich nur das haben, was sie wirklich zum Leben brauchen. Mehr können sie sich von dem Geld, das ihnen zur Verfügung steht, sowieso nicht leisten. Es ist eine traurige Wahrheit in unserem noch so reichen Land: auch Verzichten, das muss man sich erst mal leisten können.

Ich habe nachgeschaut – wie es sich für einen Theologen gehört – im "Lexikon für Theologie und Kirche". Da habe ich tatsächlich den Begriff "Verzicht" gefunden. Recht kurz und eingeklemmt zwischen "Verzeihung" und "Verzweiflung". Passt doch irgendwie. Da heißt es: "Verzicht bedeutet, etwas Erreichbares nicht zu ergreifen oder nicht zu verwirklichen." Verzicht ist also freiwillig. Das macht es dem Menschen so schwer. Wer will schon freiwillig auf etwas verzichten? Zumal wir ja so gepolt sind, dass wir einen Verlust viel stärker empfinden als einen Gewinn.

Kann der Mensch also gar nicht verzichten? Doch, er kann. Wenn er muss! Wenn es von oben angeordnet wird. Wir verzichten seit Jahren aufs Rauchen in Restaurants. Das galt lange als undenkbar. Heute ist es undenkbar, dass neben mir am Tisch jemand qualmt. Ich schnalle mich im Auto automatisch an. Als die Anschnallpflicht in den 70er Jahren kam, war der Aufschrei groß. Verzicht auf Freiheit, hieß es da. Heute mutet uns die Regierung unter Umständen das Frieren im Winter zu. Nur Tempo 130 auf Autobahnen, das ist unzumutbar. Verkehrte Welt, oder?

Verzicht – das geht aber auch ganz freiwillig. Es gibt tatsächlich Menschen, die bewusst auf Dinge verzichten – und dann glücklicher sind als vorher. Das Prinzip ist uralt. Das haben schon die alten griechischen Philosophen erkannt und beschrieben. Für die waren Tugenden wie Mäßigung, Selbstbeherrschung und Gelassenheit ganz hohe Güter.

Es gibt auch große Christenmenschen, die den reduzierten Lebensstil als einen glücklichen entdeckt haben. Allen voran der Heilige Franz von Assisi. Er hatte das "Leben mit leichtem Gepäck" zu seinem Lebensstil gemacht. Und er lebte diesen Stil sehr radikal. Aber das Glück und die Freiheit, die er dadurch gewonnen hatte, haben ihn zu einem Heiligen, einem großen Vorbild gemacht.

Verzicht hat natürlich auch Grenzen. Niemand muss freiwillig so radikal arm leben wie Franz von Assisi. Das Paradies, das wir alle ersehnen, ist noch von niemandem als ewiger Ort des Verzichts beschrieben worden. Ganz im Gegenteil. Und auch das große Vorbild des verzichtenden Franziskus, Jesus von Nazareth, hat sein Haupt nicht immer auf einen harten Stein gelegt zum Schlafen. Er ließ sich – so die Bibel – gerne einladen. Er hat auch gern gefeiert und das sicher nicht bei Wasser und trockenem Brot. Mein ganz eigenes, persönliches Heilswort der Bibel ist ein Jesuswort aus dem Johannesevangelium. Das heißt: "Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben" (Joh 10,10). Leben in Fülle. Das will er. Leben in Fülle hier und jetzt.

So verrückt es auch klingt: für dieses „Leben in Fülle“ jetzt brauchen wir in unserer Konsum- und Verbrauchsgesellschaft auch eine Kultur des Verzichts. Niemand muss so radikal arm leben, wie es der Heilige Franz vorgemacht hat. Aber "Leben mit leichtem Gepäck" kann eine echte Alternative sein. Damit der Blick wieder frei wird für die Dinge im Leben, die wirklich wichtig sind.

Über den Autor Wolfgang Drießen

Wolfgang Drießen ist Diplomtheologe und Pastoralreferent im Bistum Trier. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er beim SWF in Baden-Baden sowie im "Theologenkurs" (1984) im Institut zur Förderung publizistischen Nachwuchses (ifp) in München. Seit 1986 arbeitet Drießen in der Rundfunkarbeit des Bistums Trier in Saarbrücken, seit 1997 ist er der Rundfunkbeauftragte beim SR. In seinen Sendungen versucht er, Mut zum Leben zu geben und Gott als den zu suchen, in dessen Hand man sich fallen lassen kann, wenn es nötig ist.

Kontakt: (0681) 9068 241 // rundfunkarbeit.sr@bistum-trier.de