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Freundliches Licht

Morgenandacht, 21.02.2024

Peter-Felix Ruelius, Schlangenbad

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Vor einigen Wochen wurde vielerorts an den Erbauer des Eiffelturms erinnert: An Gustave Eiffel, der vor 100 Jahren gestorben ist. Dabei kam auch ein anderer Baumeister und Planer noch einmal zur Sprache: Amédée Sebillot. Er ist heute weitgehend vergessen, aber im Vorfeld der großen Weltausstellung von Paris im Jahr 1889 war er der wichtigste Konkurrent von Gustave Eiffel.

Ein Turm soll her, und in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wachsen die Träume der Baumeister buchstäblich in den Himmel. 1000 Fuß, rund 300 Meter sollen es auf jeden Fall werden. Das ist so etwas wie die Schallgrenze. Die muss man durchbrechen.

Der Plan von Sébillot ist: Ein alles überragender massiver Turm, den er Sonnensäule nennt, aus Granit erbaut, gekrönt mit einer rund 50 Meter hohen Konstruktion, die gleißendes Licht über ganz Paris bringen soll, mit Hilfe großer Parabolspiegel auch in die entfernteren Teile der Stadt. Wenn man so will, eine gigantische Flutlichtanlage, mit der die Nacht dauerhaft zum Tag gemacht werden kann.

Heute wird niemand mehr traurig sein, dass stattdessen die Konstruktion von Gustave Eiffel, der Eiffelturm, zum Wahrzeichen von Paris geworden ist. Und ebenso glücklich finde ich: Noch gibt es Dunkelheit. Gibt es Tag und Nacht. Auch wenn die Lichtverschmutzung oder der Lichtsmog den Nachthimmel vielerorts gar nicht mehr wirklich dunkel werden lässt. Es ist mehr als Romantik, wenn man beklagt, dass künstliches Licht den Nachthimmel verändert. Auswirkungen auf die Gesundheit und auf den Lebensrhythmus vieler Organismen sind belegt.

Und natürlich ist auch etwas Romantik dabei: In früheren Zeiten waren Feuer rund um die Wintersonnenwende sichtbare Zeichen dafür, dass man sich das Ende des Winters herbeisehnte und die Dunkelheit und mit ihr das Bedrohliche endlich loswerden wollte. Auf Hügeln und Bergen entzündet, waren solche Feuer viele Kilometer weit zu sehen. Das war eindrucksvoll. Diese Symbolik wird schwächer, wenn der Nachthimmel keiner mehr ist.

Und vielleicht steckt noch etwas mehr dahinter. Wir sind heute sehr daran gewöhnt, dass uns der Überblick nicht verlorengeht, dass wir immer orientiert sind, im wirklichen und auch im übertragenen Sinn. Es fällt uns schwer, mit schwachem Licht auszukommen, wenn wir nur wenig vorausschauen können.

Von dem englischen Theologen John Henry Newman, an dessen Geburtstag heute erinnert wird, stammt ein Lied, das vor allem im englischen Sprachraum bekannt ist. Lead kindly Light – führe du, freundliches Licht. Führe du durch den Ring der Dunkelheit. Für Newman ist Gott dieses freundliche Licht. Ein einladendes Bild. Und in dem Lied finde ich die Zeile: "Ein Schritt ist mir genug." Newman schreibt dieses Lied in einer für ihn deprimierenden Zeit, nach einer langen Krankheit.

Es geht nun für ihn nicht mehr um den großen Überblick, es geht nicht um das große Ganze. Es geht um einen Schritt. Das Licht für diesen Schritt ist mir notwendig wie das tägliche Brot. Ich muss vorangehen können.

An entscheidenden Stellen des Lebens, wenn es krisenhaft oder sorgenvoll ist, kann es schon sein, dass ich fast verrückt werde, wenn ich nicht sehe, wie es überhaupt und im Großen und Ganzen weitergehen soll. Wenn ich keinen Plan und kein Ziel erkenne.

Es ist dann kein blindes Gottvertrauen, sondern die Erfahrung vieler Menschen, dass es genügt, das Licht und das Sehen für genau den nächsten Schritt zu haben, nicht für den ganzen Weg.

Sich dem Rhythmus des Lebens anzuvertrauen heißt: Das Licht nutzen, wenn es Tag ist, wenn alles glatt geht, wenn ich weit sehen kann – und wenn die Dunkelheit ringsum die großen Schritte nicht erlaubt, das wenige Licht zu haben für den nächsten Schritt – in der Zuversicht, dass es ein freundliches Licht ist.

Über den Autor Dr. Peter-Felix Ruelius

Dr. Peter-Felix Ruelius, geboren 1964, ist Theologe und leitet gemeinsam mit einer Kollegin den Bereich Christliche Unternehmenskultur / Ethik bei den Franziskanerbrüdern vom Hl. Kreuz. Als Trainer, Supervisor und Coach begleitet er Menschen in ihren beruflichen Herausforderungen und Entwicklungen. Peter-Felix Ruelius war lange Zeit als Religionslehrer in Fulda tätig und arbeitete mehrere Jahre in der Lehrerfortbildung.