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Marta und Maria: In neue Rollen hineinfinden

Morgenandacht, 21.03.2023

Vera Krause, Köln

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Weltweit wird aktuell wie lange nicht über die Würde und die Rolle von Frauen diskutiert. In der Gesellschaft genauso wie in der Religion. Oft genug hängt beides zusammen. Starre Rollenmuster begrenzen die Entfaltungsmöglichkeiten. Auch in der katholischen Kirche, zu der ich gehöre, ist die Diskussion in vollem Gange. Und das ist gut so. Denn schaue ich als katholische Christin in die Bibel, also in die verlässlichste Quelle, die wir über Leben und Wirken des Jesus aus Nazaret haben, dann entdecke ich darin überraschend viele "Frauengeschichten". Wie alle anderen biblischen Geschichten sollten sie wegweisend sein für das Leben der Kirche, die sich in Jesu Namen bildete.

Die Geschichten, in denen Jesus Frauen begegnet oder von Frauen spricht, haben bei aller Unterschiedlichkeit gemeinsam, dass wir darin stets etwas über Jesus selbst erfahren und dass in ihnen Maßstäbe aufgezeigt werden, die für die Herzen und Köpfe aller Gläubigen gedacht sind. Das ist bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass diese Geschichten als "Heilige Schrift" aufgeschrieben wurden in einer Zeit, in der Frauen ausschließlich als Anhängsel von Männern etwas galten.

Eine Geschichte in diesem Zusammenhang ist die von Jesu Besuch im Haus von Freunden, von denen es heißt, dass Jesus sie "liebte" (Joh 11,5). Bei den Geschwistern Marta, Maria und Lazarus fühlt er sich so zuhause, dass er selbst dann, wenn Lazarus nicht da ist, ganz selbstverständlich auch allein bei den beiden Frauen einkehrt. Sollen die Leute doch tratschen! Jesus kommt gern. Die Bibel berichtet mehrfach davon.

Im Lukasevangelium ist es auf dem Weg von Galiläa nach Jerusalem ein kurzer Besuch. Marta kümmert sich, wie es sich gehört, um die Bewirtung. Maria dagegen fällt aus der Rolle! Statt Hausarbeit und eingeübter Zurückhaltung setzt sie sich Jesus zu Füßen, um ihm zuzuhören. Das tun in jener Zeit nur Männer unter Männern: aufmerksam zuhören, wenn ein religiöser Lehrer spricht; einfach nur zuhören wie ein offenes Gefäß, in das Gottes Botschaft fließen will.

Das ist nicht einfach die passive Rolle, die Maria hier einnimmt im Kontrast zu der aktiven Rolle Martas. Vielmehr entscheidet sie sich für eine damals ausschließlich männliche Haltung. Damit nimmt sie für sich in Anspruch, Jesu Gottesbotschaft auch ganz persönlich an sie selbst gerichtet zu verstehen. Offensichtlich hatte sie guten Grund zu erwarten, dass sie sich in Jesu Worten wiederfinden würde. Er hatte wirklich ein Talent, komplizierte theologische Zusammenhänge auch mitten in ein ganz normales Frauenleben hineinzusagen. So gut kannte Maria Jesus wohl schon, dass sie wusste, wie konsequent er Frauen in seine Nachfolge einbezog.

Marta ist in diesem Moment spürbar genervt – und fällt dabei ihrerseits aus der Rolle. Statt direkt von Maria zu fordern, dass sie sich gefälligst an der Hausarbeit beteiligt, wirft sie Jesus vor, dass er akzeptiert, wie Maria sich verhält. Offensichtlich ist auch Marta es gewohnt, Jesus auf Augenhöhe zu begegnen. Diesen festen Stand, den hat wohl auch er ihr beigebracht.

All das vermeintlich "Unerhörte" dieser Szene erfährt von Jesus keine Zurechtweisung, sondern ausdrückliche Bestätigung! Ja, es ist recht, sich als Frau direkt von Gott angesprochen zu wissen – und sich dem ganz zu widmen. Mit tätigen Händen, wenn Handeln notwendig ist. Oder im Hören ganz ausgestreckt nach Gottes Gegenwart. Beides steht Frauen wie Männern gut zu Gesicht. Damals wie heute!

Über die Autorin Vera Krause

Vera Krause, Jahrgang 1970, studierte Kath. Theologie, Politikwissenschaft und Soziologie in Münster und Mumbai/Indien. Nach wissenschaftlichen Tätigkeiten an der Universität und im Verlagswesen, war sie viele Jahre in den Bereichen Weltkirche und im Religionsdialog tätig: als Referentin für Bildung und Pastoral bei MISEREOR, als theologische Grundsatzreferentin in der Geschäftsführung von ADVENIAT sowie als Leiterin der Stabsstelle für weltkirchliche Aufgaben und den Dialog mit den Religionen im Erzbistum Berlin.

Heute leitet Vera Krause die Diözesanstelle für den Pastoralen Zukunftsweg im Erzbistum Köln. Sie wurde im Jahr 2008 als erste katholische Frau mit dem Deutschen Ökumenischen Predigtpreis ausgezeichnet; zahlreiche Veröffentlichungen, Tagungen und (Exerzitien-)Kurse mit den Schwerpunkten Theologie des Gebets und des geistlichen Lebens, Bibel, Mystik und Kontemplation, Weltreligionen, kirchliches Leben.

Kontakt: vera.krause@erzbistum-koeln.de www.erzbistum-koeln.de