Meine Ur-Ur-Urgroßtante war eine unglaubliche Powerfrau. Sie hat in gewisser Weise Geschichte geschrieben und hatte dabei ein unglaublich bewegtes Leben. Deswegen gibt es sogar eine kleine Biographie über sie. Jetzt ist mir ist dieses kleine Buch in die Hände gekommen und seitdem lässt mich meine Vorfahrin nicht mehr los.
Sie heißt Paulina und ist im selben Dorf groß geworden wie ich. Nur schon vor 150 Jahren, und mit dem Unterschied, dass sie mit 16 Jahren schon von zuhause weggegangen ist. Da ist sie in ein Kloster in Österreich eingetreten, und ab da war ihr Leben ein Abenteuer. Das war Ende des 19. Jahrhunderts, in dieser Zeit sind regelmäßig Mädchen aus unserem Dorf im Badischen in ein Kloster eingetreten. Sicher hat damals nicht jede junge Frau ihre Entscheidung wirklich frei getroffen, aber so wie ich meine Vorfahrin in ihrer kleinen Biographie kennengelernt habe, vermute ich, dass sie es selbst wirklich so wollte.
Mit gerade mal 19 Jahren ist sie als junge Ordensschwester nach Bosnien gereist und hat in bitterer Armut irgendwo in der Wildnis ein Waisenhaus aufgebaut. Und ein paar Jahre später hat sie das neu gegründete Kloster dort schon geleitet. Paulina war wohl eine Powerfrau mit Leitungsqualitäten. Schon wenige Jahre später ging es dann für sie mit dem Schiff nach Amerika, weitere Klöster gründen. Das alles in der Zeit vor dem 1. Weltkrieg.
Meine Mutter hat mir erzählt: "Paulina war so unerschrocken, die hat ohne Geld ein Kloster nach dem anderen gebaut. Die hatte ein Gottvertrauen, das war fast schon unverschämt."
In dem Buch über Paulina lese ich das genauso. Und das ist auch der Punkt, der mich an ihr so fasziniert. Abenteuerlustig und mutig sind ja viele, die könnte ich alle auch bewundern. Meine Ur-Ur-Urgroßtante macht nur den einen Unterschied. Sie hat ihre ganzen Großprojekte, die Reisen und ihre Leitungsaufgaben angepackt, obwohl sie gar nichts hatte. Keine Absicherung und kein Geld. Sie hatte eben nur ihr unverschämt großes Gott-Vertrauen. Da kann man nun sagen: Wie naiv diese Frau war! Oder man kann sagen: So ein Glaube ist aber aus der Zeit gefallen. Natürlich hat Paulina in einer ganz anderen Zeit gelebt. Aber einfach war ihr Leben sicher nicht.
Paulina kann nicht naiv gewesen sein, denn sie hatte mit riesigen Problemen zu kämpfen. Und sie hatte viel Verantwortung. Ihre Gemeinschaft war jahrelang bitterarm. Und phasenweise wurde ihr und den anderen Ordensschwestern auch übel mit mitgespielt. Da waren Autoritäten, die die Frauen eben nicht gefördert, sondern unterdrückt haben. Aber Paulina war mit allen Wassern gewaschen. Sie hat unzählige Beschwerdebriefe geschrieben und sie hat ihren Mund aufgemacht.
Genau diese starke Frau hat so stark geglaubt. In ihrem Fall bedeutete das: sie hat immer mit dem Besten gerechnet. Nämlich, dass Gott ihr hilft. Und das hat für ihren Lebensentwurf gut funktioniert. Heute staune ich, was Paulina alles durchlebt hat. Und ich bewundere, wie kraftvoll und eben auch "unverschämt" sie geglaubt hat.
Mein Glaube heute ist anders, aber ich mag mir doch eine Scheibe von ihr abschneiden. Ich könnte versuchen mutig anzupacken, was in meiner Verantwortung liegt, ohne die Sorge, es könnte doch schiefgehen. Und wenn Hindernisse kommen, könnte ich mich nicht entmutigen lassen und einfach weitermachen. Unverschämt eben. Ich glaube, das kann man, wenn man Gott mit einrechnet, in allem was man tut.