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Matthäus und sein Evangelium

Morgenandacht, 21.09.2024

Andreas Britz, Bellheim

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Heute feiert die Kirche das Fest des Apostels Matthäus. Die Evangelisten erzählen, er sei Zöllner gewesen, als Jesus ihn in seinen Zwölferkreis berief. In der frühen Kirche nahm man an, er habe nach Tod und Auferstehung Jesu seine Erlebnisse mit dem Mann aus Nazareth schriftlich festgehalten. Dieses Werk wurde dann nach ihm benannt: das Matthäusevangelium.

Die Bibelwissenschaft hat diese Annahme widerlegt. Der Verfasser des Matthäus-Evangeliums war demnach kein Augenzeuge des biblischen Geschehens. Er hat seine Schrift wohl um das Jahr 80 verfasst. Als Vorlage diente ihm das Markusevangelium und eine Textsammlung von verschiedenen Reden Jesu. Aus ihnen stellte er auch die berühmte Bergpredigt zusammen.

Kein anderer Evangelist betont so deutlich die Zugehörigkeit Jesu zum Judentum. Kein Wunder: Denn anders als seine Kollegen Markus und Lukas ist Matthäus im jüdischen Glauben groß geworden. Dass er seine Jesus-Geschichte in griechischer Sprache verfasst, hängt sicher mit seinem Wohnsitz zusammen. Die Forscher vermuten, dass er in Syrien zuhause war, vermutlich in Antiochia. Die von Griechen gegründete Stadt war zur Zeit Jesu mit einer halben Million Einwohner die drittgrößte im Römischen Reich. In dieser multi-kulturellen Metropole entstand auch eine bedeutende Jesus-Gemeinde. Juden und Heiden kamen in ihr zusammen. Die Bewohner Antiochias bezeichneten sie schnell als "Christen". Matthäus gehörte zu ihnen. Auch er sah in Jesus den "Christus", also den "Messias Israels".

Es muss Matthäus tief getroffen haben, dass viele seiner jüdischen Glaubensbrüder und -schwestern die Botschaft Jesu ablehnten. Auch deshalb schrieb er sein Evangelium. Er wollte sie von der Messianität Jesu überzeugen. So betont er schon zu Beginn seiner Schrift die ganz und gar jüdische Herkunft Jesu. Der Stammbaum beginnt mit dem Erzvater Abraham und geht über König David bis zu Josef und eben Jesus. Der hat die Tora, das Kernstück der Hebräischen Bibel, nicht verworfen. Im Gegenteil: In der Bergpredigt betont er: "Denkt nicht, ich sei gekommen, um die Tora und die Propheten aufzuheben! Ich bin nicht gekommen, um aufzuheben, sondern um zu erfüllen." (Mt 5,17)

Diese Erfüllung vollzieht sich in dem von allen Juden ersehnten "Himmelreich", das nun mit Jesus gekommen sei. Matthäus wird nicht müde, die Hebräische Bibel zu zitieren. Immer wieder verweist er auf die Propheten, die doch all das vorausgesehen hätten, was sich im Leben, Sterben und in der Auferstehung Jesu ereignet habe.

Dabei kann das "Himmelreich" nicht auf Israel beschränkt sein. Auch die Heiden gehören dazu. Der Auferstandene habe seinen Aposteln gesagt: „"Mir ist alle Vollmacht gegeben im Himmel und auf der Erde. Darum geht und macht alle Völker zu meinen Jüngern." (Mt 28,18-19)

Und obwohl Matthäus das Judesein Jesu so betont, ist ausgerechnet sein Evangelium später maßgeblich geworden für den Judenhass der Christen. In seiner Passionsgeschichte sind es Juden, die im Prozess vor Pilatus die Kreuzigung Jesu fordern. Während der römische Richter seine Hände buchstäblich in Unschuld wäscht, ruft die jüdische Menge: „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder!“ (Mt 27,25)

Vermutlich hatte Matthäus dabei die Zerstörung Jerusalems durch die Römer im Jahre 70 im Sinn. Damals starben zehntausende Männer, Frauen und Kinder in einem furchtbaren Blutbad. Der Evangelist konnte nicht wissen, dass die Christen seinen Satz missbrauchen würden, um über Jahrhunderte Massaker gegen unschuldige Juden zu rechtfertigen. Ich bin mir sicher: Hätte der judenchristliche Matthäus das geahnt, er hätte diesen Satz nie geschrieben.

Über den Autor Andreas Britz

Andreas Britz, Jahrgang 1959, studierte Katholische Theologie und Geschichte in Trier. Seit 1989 unterrichtet er am Johann-Wolfgang-Goethe-Gymnasium im südpfälzischen Germersheim und ist Regionaler Fachberater für Katholische Religion. Zudem ist Britz Autor zahlreicher Unterrichtsreihen und Rundfunksendungen in den Hörfunkprogrammen des SWR.

Kontakt: andreasbritz@web.de