Wir haben im Sommer eine Orgel in unserer Kirche St. Franziskus im Regensburger Stadtteil Burgweinting bekommen. 20 Jahre hat die Gemeinde seit der Einweihung der Kirche dafür gespart, endlich war es so weit. Der Aufbau des großen Instruments ging verhältnismäßig schnell, grade mal gute zwei Wochen haben die Orgelbauer dafür gebraucht. Und dann kam das Schwierige: die Intonation. Jede einzelne Orgelpfeife muss nicht nur auf den absoluten Ton gestimmt, sondern auch auf das ganze Instrument und vor allem auf den Raum ab-gestimmt werden.
Zwei Experten haben fünf Wochen lang acht bis zehn Stunden täglich gearbeitet – Ton um Ton, Pfeife um Pfeife haben sie sorgsam in einen harmonischen Zusammenklang gebracht. Ich habe die beiden bewundert für ihre Geduld, ihre Ausdauer und auch für ihr feines Gehör. Ich glaube, ich könnte das nicht!
Dabei mache ich es auf andere Weise als Seelsorger oder Leiter einer Abteilung trotzdem täglich. Wenn ich mit Gruppen von Menschen arbeite, kommt es da sogar sehr auf den Zusammenklang an. Ich muss mich einstimmen auf mein Gegenüber, abstimmen mit den anderen. Wie bringe ich etwas Neues oder Unangenehmes aufs Tapet? Wie kann ich Mehrheiten für ein gutes Ergebnis gewinnen, ohne die Minderheit ganz zu verlieren? Und wenn ich ein Einzelgespräch habe: Höre ich gut genug hin auf das, was der oder die andere eigentlich sagen will? Höre ich auch das, was mein Gegenüber nicht sagt, aber zwischen den Zeilen meint? Da geht es um Nuancen, ganz feine Zwischentöne. Freilich anders als beim Orgelstimmen, aber es erfordert auch viel Feingefühl.
Am meisten staune ich, wenn dieses Gespür für den richtigen Ton gelingt, ohne dass es mir recht bewusst ist. Ein Beispiel: Ich treffe eine Frau bei einer Hochzeit. "Erinnern Sie sich noch an mich?", fragt sie. "Sie haben mich vor 15 Jahren im Krankenhaus besucht und Sie haben mir gesagt: Sie schaffen das! Sie haben das so überzeugend gesagt, dass ich es einfach auch wollte. Und heute bin ich froh, dass ich alles gut überstanden habe."
Glück gehabt, denke ich mir, andere haben dieses Glück vielleicht nicht. Aber in diesem Moment staune ich vor allem über die Kraft von Worten, die Menschen etwas zutrauen. Eigentlich mag ich solche Durchhalteparolen wie „Sie schaffen das!“ ja überhaupt nicht. Aber manchmal scheint es mir notwendig, jemandem eine deutliche Ermutigung zuzusprechen. Natürlich überziehe ich in solchen Augenblicken – bildlich gesprochen – mein Konto, denn ich sage jemandem etwas zu, was ich nicht garantieren kann. Ich nehme sozusagen Kredit auf – ich vertraue darauf, dass es noch andere Kräfte gibt als die meinen. Und es tut Menschen in schwierigen Situationen gut, wenn jemand an sie glaubt, ihnen zutraut, mit dieser Sache fertig zu werden – so oder so.
Worte im richtigen Ton zur rechten Zeit schaffen tatsächlich oft eine neue Wirklichkeit. Es kommt sehr darauf an, auf die Schwingungen eines Gesprächs zu achten und mit viel Feingespür zu ermessen, was jetzt hilfreich sein könnte. Das ist schwer, aber es ist nicht unmöglich. Der Extrembergsteiger Hans Kammerlander hat einmal gesagt: "Unmöglich ist keine Tatsache, sondern eine Formulierung." Ich versuche darum, Formulierungen mit dem Wörtchen "unmöglich" zu vermeiden, denn unmöglich ist ein Un-Wort, löst negative Schwingungen aus. Immerhin: Es könnte es ja sein … und dann schaut manche Situation ganz anders aus!
Ein altes Sprichwort wird mir in seiner Bedeutung immer mehr bewusst: "Der Ton macht die Musik!" Nicht nur bei unserer neuen Orgel!