Das Uniklinikum in einer deutschen Großstadt meldet den drohenden Vollverschleiß. Das Management des Hauses versichert: Man tue, was nur irgend möglich sei, um einen verantwortbaren Status quo aufrecht zu halten. Nur das Gebäude sei am Ende; ein Neubau müsse her. Vollverschleiß - ich muss erst einmal nachschauen, was das heißt. "Schwere, irreparable Substanzschäden" lese ich. Der Bau ist einsturzgefährdet.
Mir fallen Paarbeziehungen ein, die an das Bild vom Vollverschleiß erinnern. Menschen, die so tief in eine Krise hineingeraten sind, dass sie ihr Zusammensein aufgeben wollen oder müssen, um selber keinen Schaden zu erleiden oder, um bei anderen keinen Schaden anzurichten. Substanzschäden in Beziehungen lähmen die Hoffnung, dass es irgendwann wieder besser oder gut werden wird.
Steht es zur Zeit so nicht auch mit der Kirche, mit den Kirchen? Die Missbrauchsskandale und deren unzureichende Aufarbeitung haben schwere Substanzschäden angerichtet. Viele Menschen, die die Kirchen als ihre religiöse Heimat verlassen, oft schweren Herzens, versuchen durch einen Kirchenaustritt ihre spirituelle Sehnsucht nach Gott zu retten und ihren persönlichen Glauben zu hüten.
Ein kritischer Blick auf das, was abgenutzt ist, was wir haben verwahrlosen lassen, öffnet trotz schmerzhafter Einsichten Türen in neue Räume. Um was ging es uns am Anfang und um was geht es jetzt? Niemand trägt allein die Schuld. Keiner kann seine Hände in Unschuld waschen. Es sind die Erinnerungsanker, die erzählen, wie es war, als alles noch gut war. Was hat bislang getragen, ist vielleicht stabiler als vermutet? Wer kann helfen, raten, ermutigen? Vielleicht lebt ja das Glück des Anfangs noch irgendwo. Erfahrungen von Vertrauen und Geborgenheit sind nicht völlig zerrieben. Die gemeinsam durchgestandenen Krisen sind der Nährboden für kreative Lösungen, für zuversichtliche Experimente. Und Neugier, Neugier, Neugier auf das, was trotz allem heil werden wird.
Erst nach einem geduldigen Hinschauen stellt sich die Frage: Was jetzt? Ein Gebäude, eine Struktur sind nicht alles. Wenn das Gute, das darin Raum hatte, noch atmet, muss für dieses Gute um seiner Zukunft willen aber vielleicht dennoch ein Neubau her. Neue Perspektiven, sprudelnde Kraftquellen und offene Horizonte sprengen die Ruinen des Alten. Hoffnung darf einziehen in eine neue Architektur von Beziehung und Organisation, mit viel Zeit, um zu wachsen und um Leben zu gebären.
Das marode Uniklinikum wird neu gebaut werden. Das neue Haus wird gebraucht für eine zuverlässige Gesundheitsversorgung auf universitärem Niveau. Verlässliche staatliche, gesellschaftliche und soziale Organisationen werden gebraucht, genauso wie gelingende persönliche und kollegiale Beziehungen. Und auch die Kirchen werden gebraucht. Sie tragen den Schatz der Botschaft von der Treue Gottes in zerbrechlichen Gefäßen. Zerbrechen und Scheitern sind immer möglich. Neuwerden aber auch.