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Am Aschermittwoch fängt alles erst an

Morgenandacht, 22.02.2023

Pfarrer Gotthard Fuchs, Wiesbaden

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Heute werde ich zur Kirche gehen und mir das Aschenkreuz auf die Stirn machen lassen. „Staub bist du, und zum Staube gehörst du zurück“ – so wird mir dazu gesagt. Jedes Jahr geht mir das unter die Haut – ganz ähnlich wie bei jeder Beerdigung, wo für den aus unserer Mitte gebetet wird, der als nächster dem Verstorbenen folgen wird auf der letzten Reise. Irgendwie tut mir diese Konfrontation mit meiner eigenen Vergänglichkeit gut und ich bin sogar dankbar dafür. Und zugleich habe ich einen Riesenrespekt und kriege Gänsehaut.

Immerhin bleibt es beim Aschenkreuz ja nicht bei dem Staubwort, denn es heißt weiter: „Gott aber wird dich auferwecken am jüngsten Tage.“ Da ist diese großartige Osterhoffnung im Spiel: die Konfrontation mit dem Tod ist also nicht der Blick in das schwarze Loch, wo alles im Nichts versinkt. Christlich ist es vielmehr jenes Dunkel, wo uns die Augen schwarz werden von blendendem Licht. Aber stockdunkel wird es schon, wie im Geburtskanal am Lebensanfang auch.

Aschermittwoch ist also ein besonderer Tag im Jahr, ein bisschen wie Karfreitag schon. Da wird der übliche Zeitablauf unterbrochen, da gilt es innezuhalten. Nein, es geht nicht immer so weiter – lautet die Botschaft dieses Tages. Alles hört von alleine auf und wie rasant geht das Leben vorbei.

Und Achtung: wie schnell ist es zu spät, und nichts mehr zu machen und alles zu lassen. Das ganze Jahr über wird die Musik gespielt, irgendwie ging es doch immer so weiter. Zwar steht auf allen Lebensmitteln inzwischen ein Verfallsdatum. Aber wir selbst können uns irgendwie bis zuletzt nicht vorstellen, dass wir sterben müssen. „Am Aschermittwoch ist alles vorbei“, das ist unerbittlich wahr.  Aber eben auch: „Gott wird dich auferwecken am jüngsten Tage.“ Am Aschermittwoch fängt die Osterzeit an. Umso mehr gilt es, die befristete Lebenszeit zu nutzen.

Aber gerade am heutigen Aschermittwoch kann ich einen anderen Gedanken nicht unterschlagen. Denn täglich kommen mir ja die Bilder vom Putin-Krieg in der Ukraine ins Herz und ins Haus. Wie viel wird da in Schutt und Asche gelegt! Wie viel böse Gewalt ist da im Spiel, wie viel Leid der Mitmenschen und der geplagten Mutter Erde. Was steckt nur in uns Menschen drin, dass wir derart vernichten und zerstören können, und das mit vollem Bewusstsein und verdammter Logistik? Wann endlich nimmt diese Mordsgeschichte von Kain und Abel und all der Brudervölker ein Ende? Wann endlich werden die Bösewichter und Unheilsstifter zur Rechenschaft gezogen? Wann bekommen die Opfer Wiedergutmachung, wenn es das überhaupt geben kann?

Wenn ich mir heute das Aschenkreuz auf die Stirn zeichnen lasse, dann kriege ich auch mit der Gewaltgeschichte der ganzen Menschheit zu tun! Fast hätte ich gesagt, es ist eine Art Kainszeichen. Denn irgendwie sind alle Menschen seit Kain und Abel Opfer und Täter zugleich. Und wo wäre ich, wenn ich in der Ukraine lebte? Indem Gott sogar dem Brudermörder Kain das Rettungszeichen auf die Stirn macht, zeigt er, dass er nichts als Leben will und Schöpfung bewahren. Und selbst die Täter behalten ihre Chance, und alles wird recht.

Es ist eben kein Zufall, dass wer will, heute sich das Kreuz aus Asche spenden lassen kann. Denn das Kreuz ist christlich das österliche Siegeszeichen schlechthin. Im gekreuzigten Auferstandenen geschieht Gerechtigkeit, aber für Täter anders als für Opfer. Und nichts bleibt in Schutt und Asche. Wenn es das Aschenkreuz nicht gäbe, man müsste es erfinden. „Staub bist du und zum Staube kehrst du zurück; Gott aber wird dich auferwecken am jüngsten Tage“, und ein bisschen schon heute.

Über den Autor Gotthard Fuchs

Pfarrer Dr. Gotthard Fuchs, wurde 1963 in Paderborn zum Priester geweiht und hat seitdem zahlreiche Tätigkeiten in Seelsorge und theologischer Lehre, in Beratung- und Bildungsarbeit geleistet. Von 1983 bis1997 war Fuchs Direktor der Katholischen Akademie der Diözesen Fulda, Limburg und Mainz; zuletzt war er Ordinariatsrat für Kultur-Kirche-Wissenschaft. Seine Schwerpunkte liegen auf der Geschichte und Gegenwart christlicher Mystik im Religionsgespräch, auf dem Verhältnis von Theologie und Psychologie und von Seelsorge und Therapie. Zu diesen Themen hat er zahlreiche Veröffentlichungen publiziert.

Kontakt: gotthardfuchs@t-online.de