Die Geschichte ist eine der ältesten und bittersten Konkurrenzgeschichten. Die Bibel erzählt diese Geschichte von zwei Brüdern, von Esau und Jakob. Sie sind Zwillinge, ihr Altersunterschied: nur ein paar Minuten, aber die sind entscheidend. Dem älteren, Esau, steht das Erstgeburtsrecht zu, damit tritt er einmal das Erbe des Vaters an. Der jüngere eben nicht. Jakob ginge leer aus, wenn, ja wenn er nicht so listig wäre, wie er nun einmal beschrieben wird im Buch Genesis, dem ersten Buch Mose. Erst luchst er seinem älteren Bruder das Erstgeburtsrecht ab. Gegen eine warme Mahlzeit. Mit dem Recht des Erstgeborenen wird er nun zum Erben. Und als Isaak, der Vater der beiden Brüder, auf dem Sterbebett liegt und sein Augenlicht schwach geworden ist, macht Jakob den Betrug vollständig. Er schwindelt dem Vater den Segen ab, der dem Erstgeborenen zusteht. Und dieser Segen gilt.
Als Jakobs Bruder Esau dann zum sterbenden Vater kommt, ist alles zu spät, das Erbe zugesagt und der Segen verbraucht. Dramatisch ist, was jetzt vorgeht. "Hast du denn keinen Segen mehr für mich? Hast du denn nur einen Segen?", fleht Esau seinen Vater an und weint. Nein der Segen ist gesprochen und bleibt. Die Weichen sind endgültig gestellt. Vorbei.
Und was hat der Vater noch für den betrogenen Sohn? Ratlosigkeit hat er und billigen und schalen Trost. Wenn er doch wenigstens eine Umarmung gehabt hätte oder Tränen.
Und darum geht es. Was mitklingt, wenn es um Trost geht, das hat immer den Beigeschmack des Billigen, des Traurigen und Hilflosen. Einen Trostpreis will niemand haben, ein Trostpflaster macht die Wunde oft schlimmer. Die Sprache ist da schon ganz klar: Trost heißt: Mehr ist nicht drin. Danke für gar nichts.
Dabei wäre Trost doch so wichtig. Man dürfte an ihm gar nicht vorbeikommen. Biblisch nicht, menschlich nicht, christlich nicht. Die Trauernden trösten: Das ist dem Christentum ja mehr als deutlich ins Aufgabenbuch geschrieben.
Was ist das eigentlich – Trost? Der Philosoph Jean Pierre Wils schreibt: Trost ist etwas anderes als Hilfe. Das leuchtet ein: Trost repariert nicht, ist keine Abhilfe. Bei einem Verlust, beim Tod eines Menschen kann ja nichts wieder hergestellt werden. Der Verlust ist nicht umkehrbar – und das geht bei vielen Dingen so. Trost ist auch keine Therapie. Er macht Menschen erst einmal nicht wieder fit. Wir haben uns daran gewöhnt, dass alles wieder wird. Nein, es wird oft gar nicht wieder alles. Und dann ist Trost, so sagt es Jean Pierre Wils, etwas wie eine "Ummantelung des Leidens", ein Schutz, vielleicht eine Brücke.
Trost, so Wils, hat seinen Patz dort, wo Helfen nicht mehr hilft.
Trost ist darum vielleicht die elementarste Form des Beistandes, die Menschen geben können. Wenn der Trost nicht mehr wäre, wäre ein Ort der Gemeinschaft verloren. "Ließen wir den Trost am Wegrand liegen, […] müssten wir mit einem empfindlichen Mangel weiterleben, mit einer Lücke, die sich nicht mehr schließen lässt. Das sollten wir uns nicht zumuten." So Jean-Pierre Wils am Ende seiner Überlegungen zum Trost.
Und was heißt das jetzt für Esau? Die Geschichte können wir nicht mehr umschreiben. Aber aufmerksam werden können wir, wo Menschen um uns herum Trost brauchen. Ganz einfach. In den kleinen Dingen und in den großen. Auf jemanden zugehen, bei ihm sein. Wenig sagen müssen. Hören und Zeit teilen. Nicht ankündigen, dass man da sein kann, sondern einfach da sein. Den Kummer des anderen mit ehrlichem Herzen teilen und einen wärmenden Mantel um sein Leiden legen. So kann Trost beginnen.
Zitat aus: Jean-Pierre Wils, Warum wir Trost brauchen. Auf den Spuren eines menschlichen Bedürfnisses Hirzel; Stuttgart 2023, 164. (5 Zeilen im Original)